Joy Fielding: Home, sweet home, Aus dem amerikanischen Englisch von Kristian Lutze, Goldmann Verlag, München 2021, 471 Seiten, €20,00, 978-3-442-31574-1
„Wie konnte das passieren, werden alle sich fragen, wenn sie am nächsten Morgen zusammenkommen, kopfschüttelnd und trotz der drückenden Hitze zitternd. Ich bin fassungslos. Ich hatte keine Ahnung. Ich dachte, es wäre eine Fehlzündung eines Autos.“
Fünf identisch aussehende Häuser stehen am Ende einer Sackgasse in Hufeisenform in Palm Beach in Florida. Fünf Familienleben verbergen sich in ganz verschiedenen Konstellationen hinter nicht unbedingt hohen Zäunen, und doch weiß niemand so richtig, wie es den Nachbarn nebenan wirklich geht.
Joy Fielding reduziert ihren Erzählraum auf den Mikrokosmos von fünf Familien, die alle auf die eine oder andere Weise die Gesellschaft spiegeln. Jeweils aus der personalen Perspektive umkreist sie die Vorgänge in jedem Haus und zeigt Menschen, die ganz selbstverständlich Waffen in ihrer unmittelbaren Umgebung deponieren.
Da ist Maggie, die, nachdem sie Zeugin eines Gewaltverbrechens wurde und aussagen wollte, sich nun mit ihrer Familien am anderen Ende des Landes versteckt. Die Polizei konnte sie nicht schützen und auch den Täter nicht hinter Gitter bringen. Wenn Maggie einen tätowierten Mann sieht, glaubt sie sich in Gefahr. Dieser Nervenkrieg hat ihren Mann Craig verjagt und ihre pubertäre Tochter gegen sie aufgebracht. Auch wenn Maggie nun ihre gesicherte Pistole in der Tasche mit sich herumträgt, sicherer fühlt sie sich nicht. Als einstige Lehrerin in Kalifornien kämpft sie sich aus ihrem Tief und beginnt völlig unter ihrer Qualifikation als Empfangsdame in einem Friseur.
Sean Grant ist als einst erfolgreicher Marketing Manager beruflich auf dem absteigenden Ast. Niemand will ihn mehr einstellen und nun übernimmt seine Frau Olivia die Brotarbeit. Als Hausmann, der für die zwölfjährigen Zwillinge und die zehnjährige Katie zuständig ist, verfällt Sean immer mehr dem Alkohol und einem ausweglosen Lügenkonstrukt.
Ein Kleinkrieg ganz anderer Art spielt sich zwischen Aiden, einem Ex-Soldaten, der im Einsatz in Afghanistan war, seiner Frau Heidi und der Schwiegermutter Lisa ab. Lisa finanziert das Leben ihres Sohnes. Sie hat das Haus bezahlt, die Raten fürs Auto und sogar seine Therapie. Wenn sie könnte, würde sie ihren Sohn auch dazu bringen, sich von Heidi zu trennen. Als diese dann schwanger ist, muss sich Aiden entscheiden.
Im nächsten Haus lebt die gesundheitlich ganz gut aufgestellte vierundachtzigjährige Julia, die sich mit ihrem reichen, vielleicht wirklich besorgten Sohn und dessen vierter, leicht dümmlichen, aber attraktiven Frau auseinandersetzen muss. Ihr drogenabhängiger Enkel ist kurzzeitig bei ihr untergeschlüpft und lässt keine Gelegenheit aus, um auch sie zu beklauen.
Völlig aus dem Rahmen fällt die Familie im letzten Haus, denn sie könnten sich viel mehr leisten. Natürlich besitzt Nick Wilson eine Waffensammlung und geht am liebsten auf den Golfplatz. Als anerkannter Onkologe und Krebsspezialist verdient er sehr gut und auch seine Frau Dani arbeitet als Zahnärztin. Die Kinder gehen auf eine Privatschule. Dani fühlt sich mehr als unwohl in der Beziehung, denn sie wird von ihrem Mann nicht nur abschätzig behandelt, sondern auch brutal geschlagen. Dass sie sich aus der Abhängigkeit von ihrem Mann als finanziell eigenständige Frau nicht lösen kann, spult ein bekanntes Muster ab. Die Schieflage, in die das Beziehungskonstrukt der Wilsons zunehmend gerät, wird immer bedrohlicher. Nachbarin Maggie, die auch weiterhin mit offenen Augen durchs Leben geht, sieht hinter die Fassade der doch so stark, ja fast arrogant wirkenden Dani. Sie bemerkt auch Heidis Verzweiflung im Angesicht einer despotischen wie unbarmherzigen Schwiegermutter und eines schwachen Sohnes.
Mögen dies die Durchschnittsprobleme der Gegenwart sein, die auch in anderen Ländern aktuell sein könnten, abgesehen vom Waffenfetischismus der Amerikaner, so spitzen sich doch die Konflikte in jedem Haus und so richtig auf einem gemeinsamen Grillfest dramatisch zu.
Der Rückzug in eine scheinbare Idylle mit Strand und einem Personal, das zur soliden Mittelschicht zählt, schützt kaum vor gewaltsamen Eskalationen. Maggies moralische Integrität öffnet den Blick für die Konflikte in der Nachbarschaft und zwingt jeden zu einer Entscheidung.
Joy Fielding beherrscht das Genre des gehobenen Unterhaltungsromans und durchdringt mit ihrer packenden Geschichte bei näherer Betrachtung vielleicht mehr als man zu Beginn glaubt.