Els Beerten: Als gäbe es einen Himmel, Deutsch von Mirjam Pressler, Fischer Verlag, FJB, Frankfurt a.M. 2011, 615 Seiten, €19,95, 978-3-8414-2135-7
„Wir wollten ein Haus bauen mit einem Garten voller Fliederbüsche, fünf Kinder bekommen, unzählig viele Enkelkinder, und im Alter zusammen sterben.“
Auch wenn der Zweite Weltkrieg das Leben der Menschen einschränkt, die jungen Leute im Roman der belgischen Autorin Els Beerten haben alle Hoffnungen und Träume. Erzählt wird die bewegende Geschichte aus den verschiedenen Perspektiven der Geschwister Renée, Remi und Jef Claessen und ihrem gemeinsamen Freund Ward. Alle verbindet die Musik und ihr Spiel in einer kleinen Blaskapelle. Die Familien, von denen berichtet wird, wohnen in einem kleinen Ort in Flandern. Das Land ist von den Deutschen besetzt.
Da viele Ereignisse immer wieder zeitlich ( letzte Kriegsjahre, Nachkriegszeit und 20 Jahre später) versetzt erzählt werden, benötigt der Leser eine Weile, um hinter die Zusammenhänge und den Konflikt zwischen den Jugendlichen zu gelangen. Schwierig könnte es für ungeübte Leser auch sein, zu verstehen, aus wessen Perspektive gerade berichtet wird.
Der nicht gerade mutige Jef erhält eine Medaille, weil er eine Heldentat begangen hat, sträubt sich aber gegen die Anerkennung. Renée hat sich in Ward, dessen Saxophonspiel alle verzaubert, verliebt. Sie wird sich von ihm abwenden, als er die Entscheidung fällt, an der Ostfront gegen die Russen zu kämpfen. Enttäuscht von seinem Vater, der Selbstmord begangen hat, glaubt Ward, dass er für sein Land etwas gut zu machen hätte. Er will nicht zerbrechen, sondern Stärke zeigen und so geht er fast zwangsläufig der Propaganda der VNV auf den Leim, die Jugendliche für den Kriegsdienst anheuern. Wards verehrter Geschichtslehrer und ein katholischer Pfarrer überzeugen den 17-Jährigen davon, dass er an der Seite der Deutschen unter flandrischen Offizieren gegen die bolschewistische Gefahr kämpfen muss. Jefs Vater öffnet seinem Sohn die Augen und doch will Jef sich unbedingt Ward anschließen, ist aber letztendlich zu feige. Ward, der Kollaborateur, ist nun der Außenseiter im Ort. Nur Jef trifft sich mit ihm während eines Fronturlaubs, der tragisch enden wird.
Eine weitere Person, Martin Lenz, taucht am Kriegsende in Köln auf. Er behauptet, er habe seine Familie verloren. Martin Lenz hat eine schwere Beinverletzung, die er sich selbst zugefügt hat. Martin ist Ward.
Auch der 10-jährige Remi kommt zu Wort und spürt, dass entscheidende Dinge vor ihm verheimlicht werden.\r\n\r\nNach und nach setzt sich aus den verschiedenen Szenen ein Bild zusammen. Els Beerten erzählt vom Krieg aus der Sicht der belgischen Bevölkerung. Ein Freund der Familie von Renée, Theo, wird bei einer Zusammenkunft der Widerstandskämpfer erschossen. Jef hat angeblich die drei anderen gerettet.
Als Ward, der im Krieg als Sturmführer der SS angehörte, sich aus Sehnsucht nach seinem Zuhause stellt, erfährt er, dass er, laut Jefs Aussagen, den Mord an Theo begangen hat. Ward jedoch weiß, wer Theo erschossen hat.
Der Prozess naht und Jef muss in dem Wissen, dass er gelogen hat, gegen Ward aussagen.
Die Handlung wird nicht chronologisch erzählt, sondern in Vor- und Rückblenden ineinander verschachtelt. Els Beerten verdeutlicht in ihrem umfangreichen Roman, wie Jugendliche in Kriegszeiten unschuldig schuldig werden. Ward hatte die Wahl und ist durch die Hölle gegangen. In kurzen Sätzen, treffenden Dialogen und genauen lebendigen Beschreibungen der einzelnen Figuren entsteht ein überzeugendes Bild vom Leben in grausamen Zeiten, von der Verunsicherung, tiefem Schmerz, der Angst und dem Überlebenswillen der Menschen.
Realistisch, ungeschönt und einfühlsam erzählt – richtig gute Literatur!
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