Isabel Bogdan: Laufen, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019, 200 Seiten, €20,00, 978-3-462-05349-4

„Ledig, was für ein Unsinn, ich bin doch nicht ledig, das klingt ja wie Single, als wäre ich auf der Suche, ich bin nicht auf der Suche, ich bin verloren. Verwitwet und verloren.“

In einem langen rhythmischen Gedankenstrom berichtet die namenlose Erzählerin von ihrem Leben in Hamburg. Nach einem Jahr der tiefen Trauer um ihren Lebensgefährten ( Johann, sein Name wir am Ende genannt. ) beginnt die Protagonistin von Isabel Bogdan wieder mit dem Laufen. Sie schildert die Qualen der Überwindung nach der ersten langen Strecke, aber auch in Einschüben zur linearen Handlung Erinnerungen an die zehn Jahre, die die Erzählerin mit Johann verbracht hat. Als Orchestermusikerin verdient sich die Erzählerin ihr Geld, aber sie spielt auch Bratsche in einem Quartett. Ihre Freundin Rike fängt sie trotz eigener Familie auf, die Eltern mühen sich hilflos und finden doch keinen Weg, der Tochter zu helfen. Johanns unterkühlte Eltern behandeln die Lebensgefährtin ihres Sohnes wie eine Fremde, da die beiden ja „schließlich nicht verheiratet waren“. Sie lassen sie mit der Miete für die große Wohnung im Stich, räumen die Sachen ihres Sohnes aus und nehmen auch seinen Volvo, ohne zu fragen, mit. Was sie mit der Werkstatt, Johann war Automechaniker, gemacht haben, interessiert die Erzählerin kaum. In ihrer Trauer lässt sie alles geschehen, registriert aber die Kränkung.

Mit dem Laufen erwachen wieder ihre Lebenskräfte. Was die Therapeutin nicht geschafft hat, vollbringt die Bewegung und der Stolz auf die Überwindung, einfach nur Laufschuhe anzuziehen. Jede Handlung war der Protagonistin früher zu schwer, jetzt ändert sie so einiges in ihrem Leben. Sie wechselt die Wohnung, kauft ein neues Bett, setzt sich mit ihren Schwiegereltern auseinander, obwohl dies nur einseitig gelingt.
Viele, viele Kommata teilen all die Reflexionen, Erinnerungen und alltäglichen Beschreibungen. Der Leser fühlt mit der Erzählerin mit, auch wenn er diesen Verlust, den sie erlebt hat, nicht kennt.
Sie erinnert sich an den Kinderwunsch beider, der einfach nicht erfüllt wurde, an die Reisepläne nach Asien oder Australien, ein Jahr freimachen und unterwegs sein. Und nun, keine körperliche Nähe mehr, kein Gespräch am Abend, wie der Tag war, keine Pläne für die Zukunft. Doch wie weit war Johann von der Erzählerin entfernt, die nicht bemerkt hat, dass seine Krankheit wieder da ist. Von Depressionen geplagt, hat Johann seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Schuld, Vorwürfe, Anklagen – Johanns Eltern glauben, so die Erzählerin, dass sie etwas hätte fühlen müssen. Wie konnte die Erzählerin nicht registrieren, dass das gemeinsame Lachen seit zwei, drei Jahren aus dem Alltag entschwunden war? Der Sex keine Rolle mehr spielte, ein eindeutiges Zeichen für die Krankheit. Wut, Kummer, Trauer, tiefe Enttäuschung, Liebe – all diese Empfindungen rasen durch den Kopf der Erzählerin. Durch das Laufen jedoch werden sie verdrängt, entfernen sich scheinbar und in den Vordergrund gelangt die Gegenwart, ein anderer Mann, ein Jogger, der Lauf um die Alster, neue Pläne, zum Beispiel wieder ein Solokonzert geben.

Nichts ist vergessen und doch das Leben geht weiter, wie profan.