Kathrin Aehnlich: Wie Frau Krause die DDR erfand, Kunstmann Verlag, München 2019, 175 Seiten, €18,00, 978-3-95614-316-8
„Bereits im Hausflur von Tante Ullas Haus hingen gerahmte Fotos von Kindergartengruppen, …
Der Kameramann blickte fragend zu Fuchs.
,Die sehen ja alle fröhlich aus‘, sagte der Fuchs.
,Vielleicht wurden sie gezwungen‘, sagte die Assistentin.“
Dreißig Jahre nach dem Mauerfall und der sogenannten Wiedervereinigung, die in Wahrheit ein schnöder Beitritt ( Wurde irgendjemand nach seiner Meinung gefragt? ) war, ist die Euphorie eher einem andauernden Missmut in den neuen Bundesländern gewichen. Mit der Auflösung der ökonomischen Grundlagen der DDR nach 1990 verloren die Menschen ihre Arbeitsgrundlage, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Anerkennung für Lebensleistungen. Viele gut ausgebildete Frauen verließen die DDR und hinterließen radikalisierte frustrierte Männer und diejenigen, die für einen Neustart zu alt waren. Eine schwache Zivilgesellschaft, die dazu noch staatshörig dachte, gab sich selbst für Fa-Seife, die Krönung, Eckes Edelkirsch und die Reisefreiheit, die nicht für umsonst zu haben ist, auf und ließ auf sich herumtrampeln. Bis heute wird, ob es das Einkommen anbelangt oder andere finanzielle Vergünstigungen, immer noch ein Unterschied zwischen Ost und West gemacht. Jeder ist froh, nicht mehr in der DDR zu leben, aber nicht jeder ist froh nun, in der BRD gelandet zu sein.
Kathrin Aehnlichs Thema ist dieser nicht sentimentale, aber doch menschliche Blick auf das Leben im untergegangenen Land. Wie wenig heutige Generationen darüber wissen, ist schon erschreckend, zumal über vieles leider nur einseitig oder ohne wirkliche Recherchen berichtet wird. Die Erinnerungen verbleichen langsam, weichen möglicherweise einer Verklärung oder Verdammung. Die Generation, die in der DDR ein ganzes Leben gelebt hat, und sich erinnern kann, ist mittlerweile schwerhörig, dement oder verbittert. Das muss die Hauptfigur in Kathrins Aehnlichs neuem Roman erfahren. Isabella Krause, wohnhaft in Leipzig, geht auf die Fünfzig zu, arbeitet gelegentlich als Schauspielerin oder gibt Tanzunterricht, denn ihre Familie besaß einst in der DDR eine Tanzschule. Bei einem Casting in Berlin erteilt ihr eine Produktionsfirma einen ungewöhnlichen Auftrag. Sie soll für die sechsteilige Fernsehserie „Wild-Ost“ für die Primetime geplant, Menschen suchen, die erzählen, wie es in der DDR wirklich war. Eigentlich weiß Herr Fuchs aus Köln, der die Regie übernimmt sehr genau, wie dieser Film aussehen soll, Frau Krause soll einfach nur die Inhalte liefern. Und Isabelle, die das Honorar wirklich benötigt, macht sich auf den Weg. Sie hofft, in ihrem Heimatort Minkewitz, in dem sie in einem Lottoladen ( Aber leider nie wirklich viel Geld gewonnen hat. ) geboren wurde, fündig zu werden. Der erste Eindruck jedoch ist niederschmetternd, denn das Werksgelände des Walzlagerwerk, in dem immerhin 6000 Werktätige einst ihr Auskommen fanden, ist nur noch als Brache zu bewundern. Die Dreharbeiten sollen schnell beginnen und so sitzen nun vor Fuchs Kamera alte Menschen, die von ihrem Arbeitsleben erzählen. Die Kindergärtnerin, Tante Ulla, die als Ausnahme nicht all ihre Möbel nach dem Mauerfall entsorgt hat, um endlich westliches Mobiliar von nicht besserer Qualität zu erstehen, enttäuscht die Filmcrew. Sie hatte Spaß an ihrer Arbeit, wurde von den Kindern geliebt und hat sich auf pragmatische Weise den Anforderungen ganz realistisch angepasst, so wie viele Leute in der DDR. Regisseur Fuchs lässt den „Besserwessi“ mit herablassenden Kommentaren heraushängen, auch bei Onkel Heini, der im Walzlagerwerk gearbeitet hat oder bei der trinkfesten Schankwirtin in der Mitropa-Gaststätte.
Auf herrlich ironische Weise lässt die Autorin die vorgefassten Meinungen des Filmteams auf die realen Lebensberichte der Zeitzeugen prallen. Wo sind die kritischen Stimmen, wo sind die unterdrückten Menschen, die über ihr Leben so berichten, wie es der Fernsehzuschauer erwartet?
Frau Krause steht in der Bringschuld, sie muss die gequälten, wirkliche drangsalierten und frustrierten Arbeiter finden. Gab es da nicht DDR-Häftlinge, die an gefährlichen Stellen im Betrieb arbeiten mussten? Isabella Krause findet einen, der wegen Verweigerung des Militärdienstes inhaftiert wurde. Nach dem Gespräch mit diesem Mann ist klar, niemals wird sie ihn vor die Kamera zerren. Am Ende ist klar, Fake hin oder her, die Welt will belogen werden.
Ohne sentimental zu werden, mit enormer Erinnerungsgabe ( Tele – Lotto – Ziehung zwischen Sandmännchen und Aktueller Kamera u.a. ), die zum Glück diesmal stimmt, umkreist Kathrin Aehnlich realitätsnah die Menschen in dem untergegangenen Land, deren Lebensleistungen niemand interessieren, die aber für sich sagen können, sie hatten ein erfülltes Leben, auch wenn es den anderen nicht passt.
Leider hat die Herstellung sich für eine viel zu kleine Schrift entschieden, denn dieser wirklich tragikomische Roman ist vor allem auch für ältere Bürger der einstigen DDR gedacht, die sicher nun mit der Lupe lesen müssen.