Jane Gardam: Weit weg von Verona, Aus dem Englischen von Isabel Bogdan, Hanser Berlin Verlag, Berlin 2018, 240 Seiten, €22,00, 978-3-446-26040-5

„Ich hatte das Gefühl, da ich ja ohne jeden Zweifel ein echte Schriftstellerin war, sollte ich mir wohl mal die Arbeit anderer Schriftsteller ansehen, und dass ich vermutlich nie wieder eine so gute Gelegenheit haben würde.“

Jessica Vye hat ein gesundes Selbstbewusstsein und wenn eine verhasste Lehrerin den Versuch unternimmt, ihren Aufsatz schlecht zu machen, bezeichnet sie sie als „blöde Schnepfe“ und kämpft wie eine Löwin um ihr geistiges Eigentum, um hinterher bitterlich zu weinen. Jessica, die behauptet nicht normal zu sein, ist nicht umringt von Freundinnen, ganz im Gegenteil, nur Florence kann sie ertragen. Die eigensinnige, beherzte Dreizehnjährige ist die Ich-Erzählerin dieses einstigen Debüts aus dem Jahr 1971 der heute 90-Jährigen Autorin. Die Geschichte, die sicher auch autobiografische Züge trägt, spielt zu Beginn des II. Weltkrieges in einem englischen Ort an der Küste. Jessica erzählt von ihrer Begegnung mit einem Autor, der ihr ungeheuren Mut zum Schreiben macht und fortan wird sie auf jedem Stück Papier das herumliegt, ihre Gedanken und Beobachtungen festhalten. Jessica leidet unter ihren Mitschülerinnen, die sich nie etwas trauen und nicht mal zur Abschlussfeier einen „Tea“ zusammen trinken gehen. Wäre nicht die leicht schrullige Dame, die als einziger Gast am Nebentisch den Mädchen Mut macht. Mit Jessicas Vorsatz, immer die Wahrheit zu sagen, handelt sie sich nur Ärger ein. Gern spricht dieses Mädchen in Blankversen, aber Shakespeare ist weit weg. Sie ist es dann auch, die es als einzige schafft, an einem Tag drei Tadel in der Schule zu erhalten. Sie soll sich nach dem Gespräch mit der fast unsichtbaren Direktorin von Stunde an „geziemend“ verhalten. Aber Jessica ist dazu nicht in der Lage, denn sie redet ohne Punkt und Komma, über alles was ihr gerade in den Kopf kommt und sie kann, auch wenn Erwachsene sie ernst ansehen, einfach nicht ihren Mund halten, wenn ihr etwas auf der Seele brennt.

Will man sich ein Bild von ihr machen, so denkt man unwillkürlich, an das Kind in der Verfilmung „Abbitte“ von Ian McEwan, überheblich, kreativ, selbstverliebt.

Im Hintergrund der Geschichte jedoch wütet der Krieg, erste Luftangriffe und die Angst der Menschen vor der Zukunft. Jessicas liberale Familie lässt das Kind wie es ist. Auch ihr Vater redet gern, und lässt sich zu einem Geistlichen ausbilden. Jessica lernt einen wilden kommunistisch angehauchten jungen Mann kennen und sie hat den Mut, ein Gedicht zu schreiben. Nicht für den ersten Preis, sondern für den Buchgutschein, denn Geld ist in der Zeit sehr knapp. Jessica liest, was sie in die Finger bekommen kann und als ihre Schule zerstört wird, nimmt sie die Gelegenheit wahr und verschwindet in der Bibliothek des Ortes.
„Wenn Sie ein englischer Klassiker werden möchten, empfiehlt es sich, im vorderen Teil des Alphabets zu stehen. Es gibt jede Menge A und B und D, das geht weiter bis ungefähr H. Dann kommt kaum noch was, bis man zu Leuten wie Richardson, Scott oder Thackeray kommt. Es ist ein bisschen deprimierend, man hat das Gefühl, man kommt gar nicht voran, wenn man nach einem Monat erst bei den Brontes ist und sieht, wie viel Dickens da auf einen zukommt.“

Jane Gardams Debüt wurde zuerst als Jugendbuch vermarktet, ist aber kein Buch für jugendliche Leser trotz Heldin in der Vorpubertät.
Mit Witz erzählt die englische Autorin Jane Gardam, die 1928 geboren wurde, von einem Mädchen, dass aus ihrer Zeit fällt, sich behauptet, am Ende sogar selbstkritisch denkt und sich doch nie unterbuttern lässt.