Rachel Khong: Das Jahr, in dem Dad ein Steak bügelte, Aus dem amerikanischen Englisch von Tobias Schnettler, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018, 252 Seiten, €16,99, 978-3-462-04972-5

„Ich frage mich schon lange nicht mehr, wieso es so viele verrückte Menschen gibt. Was mich inzwischen überrascht, ist, das es so viele Normale gibt.“

Howard Young, ein angesehener Geschichtsprofessor, Trinker, Frauenversteher und vor allem Ehemann und Vater, ist unberechenbar geworden. Seine Seminare und Vorlesungen wurden abgesagt und seine Karriere ist zu Ende. Sohn Linus besucht die Familie seit Jahren nicht mehr und auch Tochter Ruth hat sich den Eltern entzogen. Sie wissen nicht, dass sie ihr College nicht beendet hat und ihrem Freund und Verlobten Joel zwecks seiner beruflichen Karriere als Mediziner hinterhergezogen ist. Doch nun ist die Beziehung in die Brüche gegangen. Ruth gibt ihre Arbeit im Medical Centre auf und zieht zu den Eltern, auf Bitten der Mutter. Hat sie Angst mit dem Vater allein zu sein oder vielmehr Angst davor, dass er etwas anstellt, wenn sie arbeiten geht?

Die Ehe der Eltern ist von den Affären des Vaters, u.a. mit einer Professorin arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Im Laufe des Jahres, das Rachel Khong in ihrem Roman beschreibt, wird Ruth die ausgefüllten Scheidungspapiere der Eltern finden. Keines der Kinder, Ruth ist adoptiert und hat ursprünglich eine chinesische Mutter, wollte in diese Konfliktlage der Eltern gelangen, sich für einen Teil entscheiden. Zwar bittet der Vater in klaren Momenten darum, dass Ruth endlich wieder nach Hause fährt und doch kann die Tochter nun den Ort ihrer Kindheit nicht verlassen. Mag es an der nicht verarbeiteten Trennung von Joel liegen, der wieder eine neue Freundin hat, mag es an der Zeit liegen, die Ruth nun mehr mit ihrer engsten Freundin Bonnie verbringt.
Mit Theo von der Universität vereinbart Ruth, dass ihr Vater weiterhin ein Seminar über die Geschichte Kaliforniens leiten soll, was anfänglich auch gut läuft, so lange sich die Studenten unter dem Radar des Dekans bewegen. Ruth begleitet den Vater, kocht pausenlos irgendwelche Gerichte, die angeblich den Gedächtnisverlust stoppen. Liest vieles über Demenz, hält sich in Foren auf, muss mit der eigenen Angst vor Alzheimer klarkommen und kann doch den Verfall nicht verhindern. Nimmt sie auch viele Situationen mit Humor, so wachsen doch die Spannungen innerhalb der Kleinfamilie, zu der dann doch noch der Bruder stoßen wird.
Ruths Vater gelangt in die aggressive Phase und schockiert die Familie.

Bleibt am Ende das Hangeln von Tag zu Tag ohne Katastrophen, so fühlt sich Ruth wie nie zuvor zum Vater hingezogen. Er hatte eine Notizbuch über all die Kindersprüche und kuriosen Äußerungen seiner Tochter geführt, dass er nun zum Besten gibt.
Was wissen Kinder über ihre Eltern und was wollen sie wirklich erfahren? Wie nah können sich Kind und Vater beim Ausbruch der unberechenbaren Krankheit wirklich kommen?
All diesen Fragen geht die amerikanische Autorin nach und vergisst doch dabei ihre fiktive Figur, die Tagebuch schreibt nicht. Sie registriert bei Treffen mit alten Highschool-Freundinnen die Veränderungen, die einfach stattfinden müssen. Sie sieht die Mutter mit neuem Blick und den Vater, der immer Respekt einforderte, mit Nachsicht und Milde.
Sicher hat Rachel Khong nicht den ersten Roman zum Thema Alzheimer in der Familie geschrieben, aber ihr Buch hat eine bestimmte Leichtigkeit und Wärme, die über die Tragik des Geschehens in der Familie hinweghilft.