Anke Stelling: Schäfchen im Trockenen, Verbrecher Verlag, Berlin 2018, 266 Seiten, €22,00, 978-3-95732-338-5
„Schön ist das, sich in solchen Kreisen zu bewegen.
Bis man feststellt, dass irgendwas faul ist.“
Resi, die Erzählerin dieser Geschichte, richtet ihre Worte an ihre 14-jährige Tochter Bea. Sie soll an ihren reichhaltigen Erfahrungen partizipieren und fürs künftige Leben lernen. Resi, die Schriftstellerin, lebt mit Mann Sven und ihren vier Kindern im Prenzlauer Berg, da, wo all die Schwaben wohnen, die man gern die Öko-Schwaben nennt und die berüchtigt sind für die extrem teuren Kinderwagen und ihrer Ignoranz der Berliner Schrippe gegenüber. Aber das nur am Rande.
Fakt ist, dass Resi mit ihrer Familie in der Wohnung des befreundeten Ehepaares Frank und Vera wohnt. Weitere Freunde, alle jetzt so Mitte 40, sind wie Vera und Frank in ein gemeinsames Haus, ihr Bauprojekt Kommune 23, gezogen. Resi hat über dieses Bauprojekt mit gemeinsamem Garten in der Innenstadt für eine Zeitschrift geschrieben und sich so den Zorn der Freundesgruppe zugezogen. Ein Buch folgte wohl noch, und das hat dann das Fass zum Überlaufen gebracht. Vera, die Resi seit ihrem dritten Lebensjahr kennt, kündigt ihr per E-Mail die Freundschaft und Frank schickt gleich einen Schrieb hinterher, in dem er sie aus der Wohnung in drei Monaten also nach Weihnachten rausschmeißt.
Nun sitzt Resi in ihrer Schreibkammer und resümiert über das gegenwärtige Geschehen, erinnert sich aber vor allem an dieKindheit, die Gymnasiumszeit und an die Anfangszeiten in Berlin. Wie konnte es zu dieser Entwicklung zwischen den Freunden kommen? Ist Resi wirklich diese romantische Träumerin, die gedemütigt als Spätzünderin nun erkennt, dass zwar in den 1980er Jahren alle irgendwie noch gleich waren, aber wenn Heiraten, Kinder kriegen und Nestbau angesagt sind, die finanziellen Möglichkeiten die einst Gleichgesinnten schmerzlich trennen. Wie Resi mit Künstler-Ehemann und vier Kindern überhaupt finanziell über die Runden kommt, gut das Aufstocken wird mal so nebenher erwähnt, bleibt ein Rätsel. Mit dem Honorar von einem Artikel in einer Zeitschrift kann sie sicher keinen Urlaub mit vier Kindern am Meer machen. Apropos Kinder. Anke Stelling schreibt herrlich lebensnahe Dialoge, die den kompakten Alltag in seiner ernüchternden Offenbarung zeigen und wirklich mehr als komisch sind. Ob es nun die Streitereien sind, die sie als Mutter mit den Kindern austrägt oder die Dialoge mit den satten Freunden, ob Ulf, Friederike, Ingmar, Ellen oder Christian, die ihre Lebensweisheiten gern einer Mutter mit vier Kindern unter die Nase reiben.
Den Freunden jedenfalls ist klar, dass Resi einfach nur der Sozialneid plagt. Sie stilisiere sich als Opfer und würde allen nur mit ihrem Egoismus auf den Nerv gehen. Die glücklich erbenden Schwaben können gar nicht verstehen, dass Resi, die vieles in Heimarbeit selbst herstellt, gar nicht wild ist auf begehbare Schränke oder großzügig geschnittene Küchen. Und sie möchte sicher nicht als „Sozialprojekt“ ihrer reichen Freunde vorgeführt werden und als Geringverdienerin mit an Bord der Baugruppe gehievt werden.
„Da fiel mir auf, dass Armut für Ingmar ein willkommenes Unterscheidungsmerkmal zu sich selbst darstellte.“
Resi beneidet Willi, das renitente Kind von Vera, das sie eigentlich gar nicht mag, um seine ehrlichen Wutausbrüche. Gleiche Bildung heißt letztendlich nicht gleiche Gesellschaftsschicht, und dass diejenigen, die arbeiten müssen nicht mehr den Lebensstandard ihrer Eltern erreichen, ist auch kein Geheimnis mehr. Sicher wäre Resi finanziell besser gestellt, hätte sie ihren einstigen Freund und heutigen Kumpel Ulf geheiratet. Aber daraus wurde einfach nichts. Nun steht das Horrorszenario Marzahn vor ihrem inneren Auge, das Wohnen in Plattenbauten mit dünnen Wänden zwischen schrecklichen Prolos. Hätte sie die Brosamen ihrer Freunde angenommen und sich nie öffentlich geäußert, hätte sie jetzt ein schöneres Leben.
Niemand kann die Doppelmoral der reichen Erben und wohlanständigen Westdeutschen so gut auseinandernehmen wie Anke Stelling. Bereits im Roman „Bodentiefe Fenster“ kreiste die Autorin um das Klientel der Zugereisten und Besserverdiener. Dass sie sich damit keine Freunde gemacht hat, glaubt ihr sofort jeder.
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