Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und der Diebstahlstein, Carlsen Verlag, Hamburg 2011, 328 Seiten, €12,90, 978-3-5515-5572-4

„Ich beugte mich verschwörerisch wieder zurück. Die Idee klang gut, vor allem, weil es drittens gab. Drittens macht Sachen immer irgendwie ordentlicher.“

Der tiefbegabte Rico, der immer ein bisschen länger denken muss als alle anderen und es nicht so mit dem Erinnern oder gar den Himmelsrichtungen hat ( in seinem Kopf purzeln dann die Bingokugeln durcheinander oder neuerdings erklingt die Stimme von Sherlock Holmes ), erzählt nun in diesem letzten Abenteuerkrimi von einem, der Titel verrät es bereits, frechen Diebstahl. Aber wer die beiden Rico-Bücher von Andreas Steinhöfel bereits kennt, weiß, in diesen Geschichten geht es um viel mehr als einen geheimnisvollen oder gar spektakulären Fall. Ricos bester Freund Oskar wohnt nun mit seinem schwierigen, weil unter Depressionen leidenden Vater Lars im Berliner Dieffenbachstraßenhaus gleich unter dem Kiesling. Nichts Schlimmes ahnend finden die beiden Jungen den toten Fitzke im Hausflur vor seiner Wohnung liegend. Rico mit dem sonnigen Gemüt und der mürrische Fitzke waren nicht gerade die besten Freunde, aber der alte Mann hat dem Jungen in seinem Testament ( ein blutroter Stein beschwert es ) seinen wertvollsten Stein vermacht – seinen angeblichen Zuchterfolg, den Kalbstein. Allerdings hat den sich seine Enkeltochter Julia, die gar nicht seine richtige Enkeltochter ist, unter den Nagel gerissen. Dem Diebstahlstein jagen die Hobby-Detektive nun bis zur Ostsee nach Prerow hinterher. Ricos verliebte Mutter weilt derweil mit dem Bühl in einem Sondersparurlaub auf Sri Lanka und hat die Verantwortung für Rico Lars oder eher Oskar übergeben. Der hochbegabte Junge ahnt, dass hinter diesem Getue um den Stein und dem geplanten Treffen mit dem Hehler, ausgerechnet am Nacktbadestrand, etwas ganz anderes steckt. Wie immer hat er dank seines scharfen Verstandes recht und die Jungen müssen sich etwas einfallen lassen. Zu Hilfe eilt den beiden Schwarzfahrern der stumme Lars ( ihn kennen die Jungen von ihrem ersten Abenteuer, als Oskar von Mister 2000 entführt wurde ), den sie mit den Eltern im Zug treffen und der ihnen auch noch ein Quartier besorgt.

Aber dann erkennt Rico, dass sein sehr seltsamer Freund Oskar, der zur Tarnung neuerdings eine peruanische Wollmütze trägt, ihn manipuliert hat. Rico schreibt wie immer Tagebuch und wie immer erläutert er recht eigenwillig in seinen unentbehrlichen Erklärkästchen Fremdworte, z.B. Klaustrophobie, Filou, Berserker oder Manipulation.

Oskar, dessen Bildungsdrang eher ein Schutzschild gegen seine Ängste ist, platzt langsam der Kragen, er ist sauer auf Lars, der sich wirklich in seiner Gegenwart wie ein egoistisches Kind benimmt. Er rastet aus, wenn er beim Mensch-ärger-dich-nicht-Spiel verliert und behandelt Oskar, und das spürt auch Rico mit seiner feinen Antenne für Gefühlsschwankungen, bereits sehr lang, lieblos, ja gleichgültig. Der intelligente, aber für sein Alter viel zu erwachsene Oskar hat seinem Vater nicht gesagt, dass er bei Rico schläft. Er wollte einfach, dass er sich mal so richtig Sorgen um seinen Sohn macht, ihn wirklich vermisst.

Auch im letzten Rico-Band, getreu nach dem Satz – Drittens macht Sachen immer irgendwie ordentlicher. – tauchen alle Figuren aus den Vorgängerbänden wieder auf.
Es gibt Müffelchen und Miss Marple – Filme bei Frau Dahling, die Russin Irina wird ihre Lebensweisheiten los, der nervige Fitzke spielt indirekt eine Rolle und den Kiesling und Berts nebst Freundin treffen Oskar und Rico in Prerow.

Ricos lakonische Erzählweise, seine ungewöhnlichen Gedankengänge und seine nahezu philosophischen Schlussfolgerungen ( „Wenn einer gestorben ist, denkt man immer irgendwie an Staub, wahrscheinlich, weil wir Staub sind und zum Staub zurückkehren, so wie es der Pfarrer bei Fitzkes Beerdigung gesagt hatte, auch wenn ich mich inzwischen frage, warum es dann Beerdigung und nicht Bestäubung heißt.“) über den Tod, Proviant, Unterhosen, oder das Verhalten seines Hundes Porsche überzeugen und rühren zugleich. Keine Frage, dieser Band, endet so versöhnlich wie es nur sein kann und hier schimmert wohltuend die Harmoniesucht und Liebe des Autors zu seinen Figuren durch. Wie gefühlvoll ( ohne Pathos, dass Rico eigentlich mag ) ist die Szene geschrieben, in der Rico nach dem riesigen Streit auf seinen Freund zugeht und ihn mal so richtig drückt, obwohl Oskar das nicht ausstehen kann.

Beim Lesen oder Hören ( wunderbar wieder die Autorenlesung bei Hörbuch Hamburg / Silberfisch erschienen ) kann viel geschmunzelt und gelacht werden, z.B. über all die herrlichen Erklärungen oder so schöne Wörter wie Sockenschuss.

Andreas Steinhöfel, Autor bekannter Kinderbücher wie „ Dirk und ich“, „Beschützer der Diebe“,“ Paul Vier und die Schröders“, „ Es ist ein Elch entsprungen“ oder „Der magische Prinz“ hatte, wie er selbst vor dem ersten „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ erzählte, eine Schreibhemmung. Also besann er sich auf eine Faustregel beim Schreiben. Wenn man Probleme hat, soll man sich in seiner Umgebung umsehen und von dem berichten, was man kennt. So spielt die Geschichte in der Berliner Dieffenbachstraße ( allerdings gibt es kein Haus mit der Nummer 93 ), in der Andreas Steinhöfel auch wohnt und die Hauptfigur hat ein bisschen Ähnlichkeit mit seinem Freund, der allerdings nicht Rico heißt. Andreas Steinhöfel kann sich immer noch wunderbar in Kinderseelen hineinversetzen und ihre Gedankenwelt beschreiben. Sicher übertreibt er arg, aber das ist ihm als Schriftsteller gestattet. Der naive Rico und der hyperintelligente Oskar sind wie magnetische Gegenpole, die unterschiedlicher nicht sein können und sich doch enorm anziehen. Rico, der weder gut rechnen kann und auch mit der Rechtschreibung so einige Probleme hat, erweist sich zwar als ortsunkundig, aber doch als jemand, der das Herz am rechten Fleck hat. Und Oskar bleibt der ewige Besserwisser und treue Freund.