Jenny Downham: Ich gegen dich, Aus dem Englischen von Astrid Arz, Carl’s Books, München 2011, 382 Seiten, €14,99, 978-3-570-58503-0

„ Eltern kennen ihre Kinder überhaupt nicht.“

Tom Parker soll die 15-jährige Karyn McKenzie zum Beischlaf genötigt haben. Sie bestreitet das. Er sagt, es habe sich um „einvernehmlichen Sex“ gehandelt. Aussage steht gegen Aussage und keine Beweise belegen die Tat. Die einzige Zeugin ist Toms Schwester Elli, die in dieser Nacht im Haus anwesend war. Unverständlich bleibt, warum Karyn erst 24 Stunden später zur Polizei gegangen ist und Anzeige erstattet hat. Karyn ist in der Schule als Schlampe und Lügnerin verrufen, das passt zum Bild, dass viele von den Leuten haben, die in der Sozialsiedlung leben. Außerdem heißt es, sie war völlig betrunken an diesem bestimmten Abend und sowieso hinter Tom her.

Aus der Sicht des 18-jährigen Mickey, Karyns Bruder, und der 15-jährigen Ellie erzählt die englische Autorin Jenny Downham chronologisch die anfänglich undurchsichtige Geschichte von Schuld und Unschuld. Mickey hat das Gefühl, er muss seine Schwester, die verängstigt keinen Fuß mehr vor die Tür setzt, verteidigen, sie rächen. Auf seine Mutter kann er nicht zählen, denn sie verbringt ihre Tage entweder im Bett oder im nächsten Pub und bestätigt somit alle Vorurteile. Als Mickey dann Ellie kennenlernt, reift ein anderer Plan. Er will ihr Vertrauen erschleichen, um so an Informationen über Tom zu gelangen. Ellie jedoch, die sich seit dem Umzug der Eltern aus London, nicht wohl fühlt, keine Freundinnen hat, weiß, dass sie bei der Polizei aus einem falschen Beschützerinstinkt Tom gegenüber heraus eine unwahre Aussage unterzeichnet hat. Zu dem mit Verantwortung überlasteten Mickey, der sich noch um die achtjährige Holly kümmern muss und eine Ausbildung als Koch begonnen hat, fühlt sich Ellie hingezogen. Als sie jedoch seinen Namen von einer dritten Person erfährt, eskaliert die Geschichte und Ellie lockt Mickey in eine Falle. Mickey ahnt, immerhin hat der Fall der Familie auch noch das Jugendamt auf den Hals gehetzt, dass Karyn keine Chance gegen Toms Anwälte hat.

Bereits bei der Anhörung ist klar, das wird eine gemeine Schlammschlacht.

Verbissen kämpft Toms Vater um die Ehre des Sohnes, ohne sich je zu fragen, was wirklich in der Nacht geschehen ist. Karyns vor Selbstmitleid triefende Mutter reflektiert in einem kurzen, wie schnell vergessenen Moment den erbärmlichen Zustand ihrer Tochter, in dem ihr Gewalt angetan wurde. Alles unter den Teppich kehren und irgendwie weitermachen, wäre für sie die einfachste Lösung. Mickey jedoch sitzt zwischen allen Stühlen. Er sucht trotz allem Ellies Nähe und spürt, dass sie seit Wochen mit ihrer eigenen Lüge nicht klar kommt. Doch kann Ellie, die für Karyn Mitgefühl empfindet, trotzdem gegen ihren eigenen Bruder aussagen? Würde ihre Mutter und er ihr so fremd gewordener Vater hinter ihr stehen, wenn sie dafür sorgt, dass der Bruder ins Gefängnis geht und sein weiteres Leben zerstört wird? Wie steht sie vor Gericht da, wenn klar wird, dass sie eine Beziehung zu Karyns Bruder hat?

Jenny Downham stürzt ihre Hauptfiguren in einen Gewissens- und Loyalitätskonflikt, der unlösbar scheint. Wofür entscheidet sich die einsame Ellie – für die Familie oder für die Wahrheit?
Wie in einem Kammerspiel ohne ihre Figuren bloßzustellen, zeichnet die englische Autorin ein Bild der beiden Familien Parker und McKenzie und sie zeigt sie ohne je schwarz-weiß zu malen. Ellie und Mickey halten sich in dieser komplizierten Situation aneinander fest, geben sich Halt und wissen doch, dass sie einander vertrauen müssen, um die richtige Entscheidung zu treffen.