Kim Thúy: Die vielen Namen der Liebe, Aus dem Französischen von Andrea Alvermann und Brigitte Große, Verlag Antje Kunstmann, München 2017, 144 Seiten, €18,00, 978-3-95614-168-3

„Im Gegensatz zur westlichen Kultur, die den Ausdruck der Gefühle und Meinungen fördert, hüten Vietnamesen diese eifersüchtig oder äußern sie nur mit größter Zurückhaltung, denn dieser innere Raum ist der einzige Ort, der anderen nicht zugänglich ist. Der Rest, von Schulnoten über den Schlaf bis zum Gehalt, ist öffentlich, auch die Liebe.“

Die gesellschaftlichen wie kulturellen Unterschiede zwischen Nordamerika und Asien begleiten die Heldin dieser Geschichte, Vi, auf all ihren Wegen. Als Nesthäkchen mit drei großen Brüdern in Saigon lebend wird Vi tausendfach verwöhnt. Ihre Mutter sorgt für alle mit ihrer Liebe. Sie kümmert sich um ihren Mann und die Familie, die väterlicherseits wohlhabend ist. Als Vi acht Jahre alt ist, verlässt die Mutter nur mit den Kindern das Land und flieht vor den kommunistischen Schergen. Sie sieht unsägliches Leid auf der Flucht und Kim Thúy beschreibt dieses gnadenlos ruhig.

Vis kluge und handlungsfähige Mutter, eine exzellente Köchin, gelingt es die Familie nach Kanada zu bringen.
„Meine Mutter sorgte dafür, dass immer die typischen Gerüche der vietnamesischen Küche in der Luft lagen. Sie umhüllte uns mit dem Duft von gehacktem und gerösteten Zitronengras, das sich mit der knusprigen Haut der Fische vermählte, und dem von sautierten und in Limetten-Fischsoße getauchten jungen Bambussprossen.“

Vi studiert und wird zur Enttäuschung der Mutter nicht Chirurgin, sondern Juristin. Sie verhält sich nicht, wie es die Mutter ihr beigebracht hat. Dieser Bruch entfernt auch Mutter und Tochter. Und doch ist gerade das Loslösen aus dem alten Verhaltenskanon einer vietnamesischen Frau ihr endgültiger Schritt in die neue Gesellschaft.

Die Liebe als starkes Gefühl, das alle möglichen Formen annehmen kann, thematisiert die Frankokanadierin mit vietnamesischen Wurzeln in ihrem vom Antje Kunstmann Verlag wunderbar gestalteten Buch.

Immer wieder das Essen, aber auch das Einfließen der eigenen Biografie, die Auseinandersetzung mit der alten und neuen Heimat machen Kim Thúys Roman zu einem besonderen Leseerlebnis. Mag es die verhaltene Art zu erzählen sein oder auch das Ankommen in neuen Welten.