Annette Mingels: Was alles war, Albrecht Knaus Verlag, München 2017, 287 Seiten, €16,99, 978-3-8135-0755-3

„Was ich an ihr nicht mag – das wird mir plötzlich hier, auf dem Pazifischen Ozean, tausende Meilen von ihr entfernt, bewusst -, ist das, was ich an mir selbst auch nicht mag. Eitelkeit, ein Hang zur Angeberei, hinter dem sich Unsicherheit verbirgt, die Suche nach Bewunderung und Bestätigung, die auf charmanteste Art alle anderen zu Statisten degradiert. Eigenschaften, die mir vertraut sind und die bei Viola in Reinform vorkommen, vielleicht weil sie keine Bindung zulässt und damit auch kein Korrektiv.“

Viola, die biologische Mutter von Susa, sucht den Kontakt zu ihrer Tochter, da ist sie bereits 60 Jahre alt. Susa wurde adoptiert und hat ein ausgezeichnetes Verhältnis zu ihren Eltern. Zu dieser Zeit lernt Susa, sie ist Meeresbiologin, auch Henryk und seine beiden Mädchen Rena und Paula kennen, aber sie wird ihrer Mutter davon nichts erzählen. Recht vage bleibt beider Verbindung, denn Susa stört sich an Violas selbstverliebter Art, ihrem Freiheitsdrang, der sie nicht daran hinderte, vier Kinder in die Welt zu setzen, um die sie sich nicht wirklich kümmern konnte. Beim ihrem Treffen erzählt die Mutter der Tochter auch von ihrem biologischen Vater, der angeblich ein Amerikaner war. Was von ihm blieb, war ein Brief an Viola, den sie nie ernst genommen hat. Als sie selbst dann in den USA war, hat sie auch nie den Kontakt zu Beyamin gesucht. Wissen sollte man, dass auch die Autorin Annette Mingels einst adoptiert wurde und in diesem, ihrem fünften Roman, für den sie sich viel Zeit genommen hat, um die Themen wie Mutterliebe, aber auch Wahlverwandtschaft und neue Familienkonstellationen kreist.

Im Vordergrund der Handlung jedoch stehen Susa und Henryk, ein Paar, dass sich findet und eine Familie gründet. Henryk hadert mit seiner beruflichen Karriere als Universitätsdozent für deutsche Dichtung. Susa muss erleben, wie ihr Vater, den sie zutiefst geliebt hat, stirbt. \r\nEs ist das Leben, das in diesem Roman mit all seinen Höhen und Tiefen vorbeizieht und doch trifft Susa, auch durch die E-Mails von Viola, Kontakt zu ihren Halbgeschwistern. Susa wird schwanger und bekommt Leve, ihren Sohn, der erneut vieles in ihr aufwühlt. Da Henryk immer noch an seiner akademischen Karriere herumbastelt, gibt sie Leve früh in die Kinderkrippe und spürt doch, dass sie sich innerlich zerrissen fühlt. Wie kann sie eine gute Mutter sein, wenn sie nichts auf die Reihe bekommt. Sie kann in ihrem Job nicht gut sein, sie hat wenig Geduld mit den Kindern und sie fühlt eine Leere, die sie gemeinsam mit Henryk versucht zu füllen.

In dieser Pause in ihrem Leben, die ja eigentlich nicht möglich ist, sucht sie nach ihrem biologischen Vater, um zu erkennen, dass vielleicht das Finden gar nicht so wichtig ist.

Annette Mingels hat einen fein durchdachten, sprachlich gut komponierten Roman geschrieben, in dessen Verlauf sie unterschiedliche Handlungsstränge verbindet und genau beobachtet, wie moderne Familien heute an ihre Grenzen stoßen. Was bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, was bedeutet wirkliches Glück und wie wichtig sind die sogenannten Blutsverwandten? Fragen, die nie aufdringlich und doch präsent in „Was alles war“ anklingen und nachklingen.