John Grisham: Der Gerechte, Aus dem Amerikanischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter und Imke Walsh-Araya, Heyne Verlag, München 2016, 415 Seiten, €22,99, 978-3-453-27068-8
„Anwälte wie wir sind gezwungen, im Verborgenen zu arbeiten. Meine Gegner sind durch Dienstausweis, Uniformen und die zahllosen Insignien der staatlichen Gewalt geschützt. Sie sind kraft ihres Amtes dazu verpflichtet, die Gesetze zu achten, aber da sie lügen und betrügen, muss ich noch mehr lügen und betrügen.“
Diese Erfahrung hat der Rechtsanwalt und Verteidiger Sebastian Rudd schon zig-Mal gemacht und seine Konsequenzen gezogen. Er arbeitet in einem kugelsicheren Van, hat nur einen vertrauenswürdigen Mitarbeiter, der nur Partner heißt und pflegt seine Kontakte zur Justiz, Presse und auch Polizei, die einiges beschleunigen und denen er aber im Gegenzug auch behilflich ist. Rudd erzählt aus der Ich-Perspektive von seinen diversen Fällen und greift eins ums andere Mal die sogenannten „Gesetzeshüter“ an. Der mittlerweile bekannte Verteidiger ist ziemlich geltungsbedürftig, sieht sich gern im Fernsehen, mag den eloquenten, wortgewaltigen Auftritt vor Gericht und fühlt doch innerlich, wie er am Rechtssystem der USA verzweifelt. Familienkonflikte sind nicht sein Ressort, darum kümmert sich seine ehemalige Frau, Judith Whitly, mit der er einen achtjährigen Sohn hat. Rudd ist ein lausiger Vater und doch liebt er seinen Sohn Starcher. Mit seiner Exfrau muss er jede freie Minute, die er mit seinem Sohn verbringen darf, mühselig vor Gericht erstreiten.
Mit einem spektakulären Gerichtsfall in der amerikanischen Provinz beginnt der Roman. Rudd ist kurz davor von der Bevölkerung von Milo gelyncht zu werden. Er verteidigt Gardy Baker, der angeblich zwei kleine Mädchen ermordet haben soll. Eigentlich kümmert sich Rudd nicht um Schuld oder Unschuld seiner Mandanten, aber in diesem Fall weiß er genau, dass Gardy, der mit seinen Tattoos und seinem Piercing nicht gerade vertrauenserweckend aussieht, nichts getan hat. Die Staatsanwaltschaft präsentiert einen falschen Zeugen nach dem anderen und Rudd muss selbst tätig werden, um Gardy zu entlasten. Da kann ihn auch ein Tag im Gefängnis wegen Missachtung des Gerichtes nicht abhalten, denn immerhin dreht sich hier alles um die Todesstrafe und die Arroganz des Staatsanwaltes, der sich gern als harter Mann von der Presse bewundern lässt. Als man Rudd eine Falle stellen will und ihm die Beeinflussung von Geschworenen unterschieben will, schlägt er zurück und am Ende ist Gardy ein freier Mann. So erfolgreich ist Rudd nicht bei all seinen Fällen.
Rudds Leidenschaft fürs Boxen beschert ihm ganz unfreiwillig einen weiteren Mandanten. Aber dann hört Rudd von einer willkürlichen Polizeiaktion, die selbst ihm das Blut in den Adern stocken lässt. Ein völlig unbescholtenes altes Ehepaar, Mr. und Mrs. Douglas Renfro, beide um die 70, schlafen in ihrem Haus, das noch nicht mal von Hypotheken belastet ist, als eine bis an die Zähne bewaffneter Trupp von Polizisten die Vorder- und Hintertür einschlagen und wild herumballern. Doug schnappt sich seine Waffe, da er Einbrecher vermutet und schießt zurück. Er trifft einen Polizisten, wobei die Eindringlinge inzwischen Mrs.Renfro erschossen haben. Es stellt sich heraus, das Doug angeblich mit Drogen handelt. Dabei hat sich sein nichtsnutziger Nachbar Lance, der Ecstasy vertickt, in Dougs WLAN eingehakt.
Douglas Renfro wird daraufhin wegen Mordversuchs vor Gericht gestellt. Die Polizisten, die seine Frau erschossen haben, sind laut eines Gesetzes schuldfrei. Ein Skandal für Rudd, der sich um diesen Fall bemüht.
Ein Fallgeschichte nach der anderen reiht John Grisham aneinander bis Rudd persönlich unter Druck gesetzt wird. Sein Sohn wird entführt, um eine Aussage von Rudd zu erzwingen, die sein Mandant ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hatte.
Grishams Romane erzeugen einen ungeheuren Sog, denn er erzählt intelligent und vor allem unterhaltsam. Dabei nutzt er seine eloquente und auch ambivalente Hauptfigur dazu, mit Kritik an der „tapferen Polizei“, am amerikanischen Rechtssystem und seinen korrupten, gelangweilten und vor allem ehrgeizigen Vertretern nicht zu sparen. Die Ungerechtigkeiten sind kaum auszuhalten, zumal diejenigen, die für das Recht stehen, es nur nach ihren eigenen Vorstellungen auslegen.
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