Jenny Downham: Die Ungehörigkeit des Glücks, Aus dem Englischen von Astrid Arz, C.Bertelsmann Verlag, München 2016, 480 Seiten, €19,99, 978-3-570-10292-3

„Katie überlegte sich, wie die perfekte Mutter wohl sein könnte – eine, die einen bedingungslos akzeptierte und liebte und an allem, was man machte, Interesse zeigte, die aber ein faszinierendes Eigenleben führte, sodass man keine Schuldgefühle bekam, wenn man sie verließ.“

Als Caroline, äußerst ungehalten, ihre Mutter Mary bei sich aufnehmen muss, hofft sie auf eine Nacht. Wie ein lästiges Insekt würde sie die Mutter gern verscheuchen, aber daraus wird nichts, denn mit der ungeliebten Mary kehrt die Vergangenheit zurück. Carolines Kinder, die 17-jährige Katie und der 14-jährige Chris, sind erstaunt, dass sie eine Großmutter haben und genießen ihre Anwesenheit, auch wenn Mary leicht verwirrt ist. Sie hat ihren Lebensgefährten Jack, heiraten war nie ihr Ding, verloren und nun kann sie nicht mehr allein wohnen.

Als die lebensfrohe attraktive rothaarige Mary, in den frühen 1950er Jahren mit 17 Jahren von einem verheirateten Mann schwanger wurde, platzten all ihre Träume von London und einem Leben als berühmte Schauspielerin. Ihre nüchterne Schwester Pat, die sie seit dem Tod der Mutter, da war Mary zwölf, aufgezogen hat, und der oft alkoholisierte Vater, der mit Mary kein Wort mehr redet, sind nur auf den guten Ruf bedacht. Pat bittet Mary einen um Jahre älteren Nachbarn, der offenbar homosexuell ist, zu heiraten, damit die Schande nicht allzu sehr auf die Familie zurückfällt. Aber Mary ist dazu nicht bereit. So heiratet die lebenspraktische Pat den Mann, nimmt Marys Baby zu sich und untergräbt die ursprüngliche Verabredung mit der Schwester. Eigentlich sollte Mary ihr Kind regelmäßig sehen dürfen, aber Pat antwortet nicht mehr auf Briefe und zieht fort.

Caroline sieht die Mutter zum ersten Mal, da ist sie neun Jahre alt. Sie belauscht ein Gespräch ihrer vermeintlichen Eltern und erfährt somit, das Pat gar nicht ihre leibliche Mutter ist. Alle ihre Neurosen hat Pat auf das Kind übertragen. Caroline ist ängstlich, schnell verunsichert, klammert sich an allem Gewohnten fest und mag ihre eigene Mutter und deren wildes Leben nicht. Mary ist wirklich Schauspielerin in London geworden, aber keine bedeutende. Die verbitterte Pat, die auch mit der pubertierenden Caroline Konflikte austragen muss, versinkt immer mehr in Depressionen und lässt sich scheiden. Als Caroline vierzehn Jahre alt ist, wird Pat sterben, unter welchen Umständen jedoch, das wird sich erst im Laufe der Handlung herausstellen.

Aus unterschiedlichen Perspektiven, mal aus Katies, dann wieder aus Marys, erzählt die britische Autorin diese Familiengeschichte, von Lebensentwürfen, Zwängen, Schuldgefühlen, Verantwortung und Freiheit.

Katie fühlt sich zu ihrer Großmutter hingezogen und da Caroline arbeiten muss, kümmert sich die Enkelin um die alte Dame. Caroline trägt ihrer Mutter, kein Heim nimmt sie auf, immer noch nach, dass sie sie als Baby verlassen hat. Für sie ist die Mutter eine rücksichtslose Egoistin, die sich keinen Deut um sie geschert hat. Katie wird herausfinden, das dies nicht den Tatsachen entspricht und sie wird Mary, die die Enge in der Familie und die ewige Gleichförmigkeit verabscheut hat und deren Gedächtnislöcher nun immer größer werden, ein Buch geben, in das sie ihre Erinnerungen eintragen soll.

Katie selbst hat schwer an dem Vertrauensbruch ihrer Freundin Esme zu tragen. Diese erzählt den Mitschülerinnen, das Katie sie geküsst hat und nun läuft sie Spießruten.

Mit dem Vater kann Katie nicht sprechen, denn die Eltern haben sich getrennt. Die ständig angespannte und verkrampfte Caroline hasst ihren Mann, der sie mit einer jüngeren Frau betrogen und nun auch noch ein Kind bekommen hat. Dabei würde er sich gern um die Kinder kümmern, besonders um Chris, der seit seiner Geburt behindert ist. Chris wirkt einfältig und ist viel zu dick. Die Belastungen, die die Mutter Katie zumutet, hängen auch mit dem Bruder zusammen. Sie soll exzellente Leistungen bringen, um studieren zu können und sie soll sich möglichst rund um die Uhr um Chris kümmern. Doch langsam regt sich Unwillen in Katie, die durch das Schicksal der Großmutter mitbekommen hat, wie Pat und später Caroline, die immerhin fünfzehn Jahre den Großvater gepflegt hat, die Tatsachen verdrehen und unbedingten Gehorsam einfordern. Katie will ihr Leben nicht an den Bruder binden, sie spürt ihr Anderssein und ein riesiger Krach mit der Mutter steht bevor. Denn auch die Mutter hatte den Versuch unternommen, sich aus aller Verantwortung wegzustehlen.

Spannend und unterhaltsam liest sich diese Familiengeschichte über drei Generationen, in denen die Frauen im Mittelpunkt stehen. Nichts muss auf den ersten Blick so sein, wie es scheint. Auch wenn Mary kein Begabung für den Haushalt hat, so kann sie doch ihr Kind lieben, vermissen und um es kämpfen. Diejenigen die sich als moralisch überlegen darstellen, müssen es letztendlich nicht sein. Die gesellschaftlichen Zwänge haben Mary einen Strick gedreht und die Entfremdung von ihrer Tochter, das wissen Katie und Caroline, waren nicht ihre Schuld.