Marian De Smet: French Summer – A fucking great road trip, Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2016, 188 Seiten, €14,95, 978-3-8369-5840-0

„Ich schaute und ich sah es. Wie viel Angst er hatte. Das großtuerische Gehabe umhüllte seinen Körper wie eine zu weite Jacke. Mitten in der Nacht hörte ich sein unterdrücktes Schluchzen aus meinem Bett. Da wusste ich es sicher. Er war allein, genau wie ich. Wir gehörten zusammen. Ich hatte einen Bruder. Einen echten. Einen echten, großen Bruder. Einen Bruder, der meine Spardose plünderte, Chaos in meinem Zimmer veranstaltete, stinkende Furze ließ und dabei lachte.“

„French Summer – a fucking great road trip“ heißt das Jugendbuch der niederländischen Autorin Marian De Smet. Diesen reißerischen Titel hat die sensible Liebesgeschichte über Eppo, Maarten und Tabby gar nicht nötig. Tabby, eine junge, leicht verrückte Frau, nimmt Eppo auf ihrem Weg nach Paris oder wo auch immer hin mit. Ihm und ihr ist es ziemlich egal, wohin die Reise geht, Hauptsache weg. Doch je weiter sich Eppo von seinem Heimatort, seinen Eltern, die ihm zu dieser Fahrt geraten hatten, entfernt, seine Erinnerungen, Empfindungen und seine Verzweiflung reisen mit. Eppos Gedanken kehren immer wieder zurück zu den Jahren mit Maarten.

Eppo ist elf als der zwei Jahre ältere Maarten sein Wochenendbruder wird. Maartens drogensüchtige Mutter kann sich nicht um den schwierigen Jungen kümmern, der in der Woche in einem Heim lebt. Eppos sozial eingestellte Eltern, die wunderbar ohne Fernseher, Handy oder Computer leben können, fühlen sich für Maarten auf eine unaufdringliche Art zuständig. Maarten rühmt sich damit, wie kurz seine Aufenthalte in Pflegefamilien waren und ist doch innerlich zutiefst zerrissen, wenn ihm Zuneigung entgegengebracht wird. Er provoziert wo er kann, um sich zu beweisen. Und doch, bei allem was Maarten so an Schlimmem ausfrisst, hält Eppo ihm bedingungslos den Rücken frei. Er liest ihm dutzende Bücher vor und schweigt den Eltern gegenüber, obwohl Maarten zugesehen hat, wie einer aus seiner brutalen Clique ihn in den Fluss gestoßen hat. Eppo ist der einzige, der erkennt, wie sich Maarten hinter seiner vorgetäuschten Gleichgültigkeit und seinem hysterischen Lachen versteckt. Nur kurz erzählt Eppo seiner Reisebegleiterin Tabby, die ständig plappern muss, von seinem Bruder. Auch Tabby kann trotz vielem Gerede über eines nicht sprechen. Sie ist schwanger und ihr Freund, ein Seemann, will das Kind nicht.

Sie aber möchte, auch wenn sie noch sehr jung ist, Mutter werden. Tabby und Eppo verbindet ihre Zufallsbekanntschaft. Sie stützen sich instinktiv, denn sie wissen, jeder muss mit seinem existentiellen Problem allein fertig werden.

„Seine Hand lag auf meiner Brust. Er bewegte die Lippen zum Lied, die Töne explodierten leise in meinem Ohr. „Sunday morning und I’m falling. I’ve got a feeling I don’t want to know“. Seine Finger krochen zögernd unter mein T-Shirt. Ich brauchte den Kopf nur zu drehen. Wir bekamen nicht genug davon. Von dem Lied.“

Nach einem heftigen Streit zwischen beiden Jungen ist Maarten bei einem Unfall ums Leben gekommen. Eppo glaubt, schuldig zu sein. Sicher war Eppo die erste Person in Maartens Leben, die ihn so genommen hat, wie er war, die ihm vermittelt hat, wie wichtig er für ihn war und die ihn wirklich inniglich geliebt hat. Aber Maarten verlangt nach der auch körperlichen Nähe zum Bruder nun Distanz, die Eppo nicht hinnehmen kann.

Marian De Smet lässt weder Eppo noch den Leser im Ungewissen. Sie nimmt ihrer Hauptfigur die Schuld und lässt Maarten vor seinem Tod einen Brief an Eppo verfassen, in dem er von seinen Empfindungen für ihn schreibt, die er nie aussprechen könnte. Als starke Figuren sind immer im Hintergrund aber anwesend, die Eltern von Eppo gezeichnet. Unvergesslich die Szene als Eppo seiner Mutter sagt, dass er Maarten wirklich geliebt hat und sie ihm bestätigt, wie gut das ist.

Berührend erzählt die niederländische Autorin eine ganz normale Liebesgeschichte zwischen zwei Jugendlichen, ohne ihre Andersartigkeit in irgendeiner Form anzudeuten, in einer Sprache, die für Eppos Reflexionen und Gefühle treffend feinsinnige Bilder findet.


„Wir lauschten unseren Schlittschuhen auf dem Eis, unseren Atemzügen und unserem wechselseitigen Schniefen. Ich spürte die Kälte nicht, ich spürte nur, wie warm seine Hand war und wie er in den Kurven Halt suchte. Wir ließen einander keine Sekunde los.“