Meg Mitchell Moore – Eine fast perfekte Familie, Deutsch von Sabine Schwenk, Bloomsbury Verlag, Berlin 2016, 423 Seiten, €20,00, 978-3-8270-1283-8
„Wie kompliziert und verwickelt doch alles war. Leben. Familie. Aber einen anderen Weg gab es doch gar nicht, oder? Man musste einfach weitergehen und immer schön einen Fuß vor den anderen setzen.“
Die Familie Hawthorne, wohlsituierte amerikanische Mittelschicht, wohnt in einem großen Haus unweit von San Francisco. Nora arbeitet trotz ihrer drei Mädchen als Immobilienmaklerin für ausgewählte exklusive Objekt, Gabe, eigentlich auf einer Ranch in Wyoming aufgewachsen, ist Partner in einer gutgehenden Consulting-Firma. Die 17-jährige, ehrgeizige Angela ackert für ihre Frühbewerbung in Harvard, d.h. sie muss ausgezeichnete Leistungen in allen Fächern vorweisen, sportlich aktiv sein, im Theaterklub eine Rolle übernehmen, karikativ tätig sein, ein Instrument spielen und möglichst noch nebenher jobben. Wie eine Schülerin das alles perfekt schaffen soll, wird im Laufe der Handlung eindringlich thematisiert. Aber dann ist da noch Cecily, zehn Jahre alt und Noras Sonnenschein, ein fröhliches Mädchen, dass sich ihren familiären Wurzeln entsprechend gern zu irischen Melodien bewegt. Kostspielig ist diese Tanzschule und vor allem auch anspruchsvoll. Um Maya mit ihren sieben Jahren sorgt sich Nora, denn das Mädchen kann immer noch nicht lesen. Als Maya noch ein Baby war, hatte Nora ihre Mutter an der Ostküste besucht. In einem unbeobachteten Moment ist das Kind vom Sofa gerollt, eine große Delle am Kopf war die Folge. Nie hat Nora ihrem Mann von diesem Unfall erzählt.
Die Hawthornes wirken auf den ersten Eindruck wie eine ganz normale Familie, die mit ihren Alltags- und zum Teil auch Luxusproblemen fertig werden muss, so wie alle anderen auch. Doch alle Familienmitglieder, außer Maya, verbergen Geheimnisse voreinander, die im Zeitraum von drei Monaten, so lang dauert die Handlungsspanne, zu Tage treten werden. Ist es der Hang zur Vollkommenheit, die trügerische, vielleicht doch nicht so garantierte Sicherheit in einer Ellenbogengesellschaft, der die Hawthornes anspornt oder der Stolz auf die Leistungen der Kinder, der durch nichts getrübt werden soll?
Alles beginnt mit einem alarmierenden Anruf des Kalifornien Security Office der Golden Gate Bridge, die sich um die Selbstmordgefährdeten kümmern. Nora springt in ihr Auto, um wen es wirklich geht, bleibt noch ungewiss.
Nora hat arge Schlafprobleme und schreibt nachts lange E-Mails an ihre Schwester Marianne, die an der Ostküste, woher die beiden stammen, immer noch lebt. Mit leichter Ironie und einen Schuss Sarkasmus betrachtet Nora ihren Tagesablauf und kaschiert damit auch ihre Sorgen um Angelas immenses Arbeitspensum und ihre Stellung als Jahrgangsbeste, Mayas beängstigende Leseschwäche, Gabes neue, sehr junge Assistentin, Cecilys Unkonzentriertheit beim Tanzwettbewerb und ihre Konflikte mit potentiellen Käufern und Verkäufern von millionenschweren Anwesen.
Meg Michell Moore erzählt aus den Blickwinkeln aller Familienmitglieder und der Vertrauten um sie herum. Somit gewinnt der Leser Eindrücke aus der Innen- und Außenperspektive. Auch wenn sich Nora ihr Kinderspiel aus vergangenen Zeiten oft in Erinnerung ruft, ein Geist gewährt drei Wünsche, beginnt die heile Familienfassade langsam zu bröckeln.
Nora ist völlig zerrissen zwischen der Kindererziehung, all den Terminen in der Schule, im Freizeitbereich, gesundem Essen, das auf dem Tisch stehen muss und den eigenen beruflichen Anforderungen ( der Babysitter hängt mehr am Smartphone als das er sich um die Mädchen kümmert ). Panisch muss sie feststellen, dass sie eine geschützte Pflanze bei einem Hausverkauf übersehen und die Käufer über deren Existenz nicht informiert hat. Sollten diese sie verklagen, wäre das ihr finanzieller Ruin. Angela beginnt Tabletten zu nehmen, um sich wach zu halten. Diese Drogen klaut sie allerdings beim Babysitten dem ADHS-Kind von nebenan. Und dann fliegt die allergrößte Lüge auf, die Gabe als Geheimnis über Jahrzehnte gehütet hat. Die Wahrheit könnte den Familienzusammenhalt sprengen.
Meg Mitchell Moore hat einen unterhaltsamen, ja filmreifen, nie oberflächlichen Plot erfunden, in dem sich Familien in Teilen wiedererkennen können. Dreht sich doch alles um Ehrlichkeit in der kleinsten Zelle der Gesellschaft, um Vertrauen und Offenheit. All dies können die Hawthornes nicht bieten und doch bleiben sie sympathisch, weil menschlich.
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