Jean Rhys: Die weite Sargassosee, Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek, Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2015, 232 Seiten, €21,95 Euro, 978-3-89561-362-3

\“Und so ritten wir los und ließen ihn zurück – den verborgenen Ort. Er war nicht für mich und nicht für sie. Dafür würde ich sorgen. Sie hat schon ein gutes Stück des Wegs zurückgelegt. Sehr bald wird sie sich zu all den anderen gesellen, die das Geheimnis kennen und es nicht verraten wollen. Oder können.“

Vor 125 Jahren auf der karibischen Insel Dominica geboren, erzählt Jean Rhys in ihren Romanen auch immer von ihrer eigenen Geschichte. Groß geworden in den britischen Kolonien fühlt sie sich in England angekommen fremd und ausgegrenzt. Und so empfinden auch ihre Protagonistinnen in ihren Romanen, dass sie nie ihren richtigen Platz in der Gesellschaft gefunden haben. In armen Verhältnissen lebend wird Jean Rhys mit ihrem Roman „Die weite Sargassosee“, 1966 erschienen, zu spätem Ruhm gelangen. Jean Rhys hat mit ihrem Roman die Vorgeschichte von Mrs. Rochester, einer Nebenfigur, aus „Jane Eyre“ geschrieben. Charlotte Brontë stellt die erste Frau vom verbitterten Mr. Rochester, die ebenfalls aus der Karibik stammt, wie eine ungezügeltes Monster dar. Jean Rhys unternimmt den Versuch, diese Frau in einem anderen Licht zu zeigen. Rochester ist nicht der Betrogene, der eine Wahnsinnige ohne sein Wissen geheiratet hat. Gezeigt wird eine junges Mädchen, dass an der Lieblosigkeit und Kälte ihres Mannes und ihrer neuen Umgebung zerbricht.

Die attraktive Antoinette, halb kreolischer Herkunft liebt das flirrende, bunte Leben in der Karibik. Nach der Abschaffung der Sklaverei verarmt ihre Familie, die vom Menschenhandel lebte. Antoinettes Mutter heiratet wieder und befreit sich somit aus der Geldnot. Nur Christophine, eine mysteriöse alte Schwarze, die Voodoo-Zauber praktiziert, scheint treu zu ihrer Herrin zu stehen. Aber dann werden die Masons, die die Einheimischen als Bedrohung ansehen, überfallen und vertrieben. Antoinette wird in einem Nonnenkloster untergebracht und später mit einem Engländer verheiratet, der es auf ihr Geld abgesehen hat.
Die Perspektiven wechseln und der Ehemann erzählt von seinem Unbehagen auf den karibischen Inseln. Ein Brief erreicht den Engländer, in dem ihm mitgeteilt wird, dass seine junge Ehefrau aus einer Familie stammt, in der Angehörige psychisch krank sind. Verleumdungen und falsche Informationen verunsichern den jungen Engländer.

„Ich hatte diese Leute satt. Ich verabscheute ihr Lachen und ihre Tränen, ihre Schmeicheleien und ihren Neid, ihre Arroganz und ihre Falschheit. Und ich hasste diesen Ort……Alles hier ist zu viel, empfand ich, als ich müde hinter ihr her ritt. Zu viel Blau, zu viel Rot, zu viel Grün. Die Blumen zu rot, die Berge zu hoch, die Hügel zu nah. Und diese Frau ist eine Fremde. Ihr flehentlicher Gesichtsausdruck ist mir unangenehm.“

Antoinette versucht ihren Mann für sich zu gewinnen, aber er fühlt sich in ihrer Nähe unbehaglich. Auch Christophine setzt ihre Fähigkeiten ein, damit Antoinettes Mann seine Meinung ändert.
Als Antoinette psychisch erkrankt, bringt ihr Mann sie von den westindischen Inseln nach England und sperrt sie auf dem kalten Dachboden seines Hauses ein. Grace Poole, die gern einen über den Durst trinkt, wird sich um sie kümmern. Wieder wechselt die Perspektive. Nun erzählt Antoinette, die nicht fassen kann, was mit ihr geschieht und wo ihr Leben enden soll.

Sprachlich fesselt diese Geschichte, die einen gesellschaftlichen wie atmosphärischen Bogen von der Karibik bis nach England schlägt und der Figur der Antoinette, die in „Jane Eyre“ als Wahnsinnige auftaucht, Gerechtigkeit widerfahren lässt.