Rebecca Stead: Du weißt, wo du mich findest, Aus dem amerikanischen Englisch von Alexandra Ernst, cbj, München 2011, 240 Seiten, €14,99, 978-3-570-13906-6

„Das war kein Spiel. Mit dem Buch in der Hand konnte ich schließlich nicht mehr anders als glauben, dass, wer immer mir diese Botschaften auch geschickt haben mochte, tatsächlich über Dinge Bescheid wusste, die noch nicht passiert waren. Irgendwie.“

Miranda und Sal sind seit Kleinkindtagen miteinander vertraut, denn sie wohnen im gleichen Haus in New York. Doch seit Kurzem hat sich etwas verändert. Sal signalisiert der zwölfjährigen Freundin, dass er Abstand braucht. Miranda jedoch erkennt die Zeichen nicht. Als Sal dann auf dem Heimweg von der Schule von einem fremden Jungen aus heiterem Himmel einfach so geschlagen und gedemütigt wird, sitzt der Schmerz tief und Sal erbittet sich von Miranda eine Auszeit.
Nun muss Miranda allein nach Hause gehen, an den grölenden Jugendlichen vorbei und dem verrückten Obdachlosen, der am Briefkasten liegt und auf das Mädchen so bedrohlich wirkt. Miranda ist als so genanntes Schlüsselkind viel allein. Sie liest gern und schaut fernsehen. Ihre Mutter, eine Anwaltsgehilfin, die in ihrem Job aber eher frustriert ist, will unbedingt bei einer Quizshow mitmachen, um endlich reich zu werden. Zur Zeit liest Miranda von Madeleine L’Engles „Die Zeitfalte“, ein Buch über Zeitreisen und ferne Planeten.
Die Zeit und deren Dimensionen spielt neben Alltagsproblemen, Gewalt und Zickenkrieg die Hauptrolle in diesem ungewöhnlichen Roman, der viele Fragen offen lässt. Eines Tages dann entdeckt Miranda, dass jemand ihren versteckten Zweitschlüssel gefunden haben muss. Doch in der Wohnung fehlt im ersten Moment nichts. Es tauchen jedoch Botschaften auf, die sich direkt und wissend an Miranda richten. Der Zettelschreiber muss Miranda kennen und alles, was ihr in der Zukunft geschehen wird, genau wissen. „Ich komme, um das Leben deines Freundes zu retten.“ ist der Schlüsselsatz für den Spannungsbogen, den die amerikanische Autorin geschickt aufbaut.
Miranda wendet sich nun in der Klasse Annemarie zu, die früher mit der hochnäsigen Julia zusammen war. Plötzlich sieht Miranda ihr eigenes Leben nicht mehr so sorglos, denn in Annemaries Welt wirkt alles so wohlhabend, beginnend vom Doorman an der Tür bis hin zum besorgten Vater. Annemarie jedoch will gern aus ihrem häuslichen Käfig ausbrechen. Sie schließt sich Miranda und Colin an und arbeitet bei Jimmy in der Snackbar in der Mittagspause. Nur Julia weiß, dass Annemarie als Epileptikerin, die nun Schinkensandwiches futtert, sich gesundheitlich ruiniert. Nach und nach erkennt Miranda, dass die eingebildete Julia unter der Trennung von Annemarie leidet und selbstlos baut Miranda Julia ein Brücke. Die Erkenntnis, dass jemandem helfen, besser ist als draufschlagen, gewinnt sie ausgerechnet durch Marcus, den Jungen, der Sal geschlagen hat. Am Ende wird sich herausstellen, wer der geheimnisvolle Zettelschreiber ist und was die Botschaften bedeuten sollen.
So richtig zufrieden jedoch, ist man mit den Antworten nicht, denn Zeitreisen, so faszinierend sie auch sein mögen, sind gerade in einem realistisch anmutenden Roman schwer nachvollziehbar. Der kluge und so gar nicht gefährliche Marcus jedenfalls ist schuldig geworden und er hat die Gelegenheit, seine unbedachte Tat auszumerzen.
In gewisser Weise denkt man beim Lesen unwillkürlich an den Roman „Die Frau des Zeitreisenden“. Der Zeitreisende bei Rebecca Stead taucht auch mehrmals nackt auf und seine Zettel konnte er nur im Mund transportieren. Inwiefern Kindern diese Gedankenexperimente gefallen, wäre sicher interessant nachzufragen. Und trotzdem, Rebecca Stead ist ein unterhaltsamer, spannender und wirklichkeitsnaher Roman gelungen, der gerade die Interaktionen zwischen Mädchen und Jungen in der Vorpupertät gut einfängt.