Bernhard Aichner: Totenhaus, btb, München 2015, 416 Seiten, €19,99, 978-3-442-75455-7

„Das Glück auf dem Hügel, das keines war. Zwei Selbstmorde im Paradies, Schicksale, mit denen sie bis vor zwei Tagen nichts zu tun gehabt hatte. Gar nichts.“

Als sich Blum, die Frau ohne Vornamen, mit ihren zwei Mädchen in Griechenland erholt, schaut sie sich, schwerer Fehler, Zeitschriften an. Und plötzlich sieht sie sich selbst auf einem Foto. Allerdings ist die Frau, die sie betrachtet, tot und auf groteske Weise entstellt, denn der Körper wurde von Leo Kuhn plastiniert. Diese Blum so extrem ähnlich sehende Frau sitzt auf einem Zebra und ihr Herz ist rosa angemalt.

Blum bricht ihren Urlaub ab, denn sie glaubt, in dieser Frau ihre Zwillingsschwester zu erkennen. Mit drei wurde Blum von ihren gehassten Adoptiveltern aus dem Waisenhaus geholt. Nie hatte jemand von einem zweiten Kind gesprochen.

Blum dagegen wuchs mit Leichen auf, wurde zur Strafe in einen Sarg gesperrt und von Menschen großgezogen, die sie nie umarmten. Sie wurde zur Bestatterin ausgebildet, weil ihr Vater diesen Beruf ausübte. Blums Eltern jedoch ertrinken bei einem Urlaub und ihr Mann Mark, ein Polizist, wird von fünf Männern ermordet. Blum wird sich rächen und Gott spielen.

Blum begibt sich auf die Suche nach ihrer Vergangenheit und trifft sich mit Leo Kuhn, der die reitende Tote auf dem Zebra persönlich kannte. Diese Episode erinnert an die umstrittene „Körperwelten“-Ausstellung von Gunther von Hagen, die die Gemüter spaltete.

Blum malt sich nun eine völlig andere Kindheit im Schwarzwald aus, eine Zeit mit ihrer Schwester Björk. Blum erfährt, das Björk von Familie Kaltschmied adoptiert wurde. Die Mutter, eine Schwedin, verstarb als Björk neun Jahre alt war. Da war aber auch schon Ingmar auf der Welt. Er wurde, kurz nachdem Björk in die Familie kam, geboren. Eigentlich ein Wunder, nach der Meinung der Ärzte.

Alfred, der Adoptivvater von Björk und Hotelbesitzer, will Blum nicht sehen. Aber Ingmar gewinnt Blums Vertrauen und sie nimmt ihn sogar mit zu sich nach Hause. Er lernt ihre Mädchen, ihren loyalen Schwiegervater Karl kennen und Reza, die Stütze Blums in allen Lebenslagen. \r\n\r\nAber dann wird eines der Gräber geöffnet, in dem Blum den von ihr ermordeten Schauspieler Benjamin Ludwig vergraben hatte. Ein schwerer Schlag. Blum hatte sich bitter am Tod ihres Mannes gerächt. Fünf Männer mussten sterben, deren Überreste in Einzelgräbern ruhen.

Blum flieht mit Ingmar ins Hotel seiner Familie. Nach und nach versteht Blum, das dieses Hotel seit dem Tod der Mutter leersteht. Was sie dort erwartet ist jedoch nicht Schutz, sondern höchste Gefahr.

Bernhard Aichners erster Roman hieß „Totenfrau“ und erzählte in einer klaren Sprache vom Racheakt Blums. Erzählende Passagen folgen wortkargen Dialogen, die nur mit Gedankenstrichen der zwei Sprechenden gekennzeichnet sind.

Auch in „Totenhaus“ bleibt der österreichische Autor dieser Erzähltechnik treu.

Blum verliert kurzzeitig den Überblick und erkämpft sich ihre eigene Entscheidungskraft zurück. Sie schaut in Abgründe und wird in diese gezogen.

Der Leser folgt der kompromisslosen Frau, wünscht ihr Straffreiheit und fühlt sich gleichzeitig unwohl bei all den Gewalterfahrungen der erdachten Figuren, die sich tief in ihre Psychen gebrannt haben.