Penelope Lively: Wenn eins zum anderen kommt, Aus dem Englischen von Maria Andreas, C. Bertelsmann Verlag, München 2015, 288 Seiten, €17,99, 978-3-570-10157-5
„Die Ehe der Daltons geht in die Brüche, weil Charlotte Rainsford von einem Taschendieb überfallen wurde. Die Daltons kannten Charlotte nicht und würden sie auch nie kennenlernen; sie war einfach eine schicksalhafte Präsenz an der Peripherie ihres Lebens.“
Alles beginnt mit diesem Überfall eines verhaltensauffälligen Jugendlichen auf die Pensionärin Charlotte und dem Raub von nicht mal 70 Pfund. Charlotte findet sofort Hilfe in der Londoner Straße und schnell ist ihre Tochter Rose bei ihr. Rose Donovan arbeitet seit gut zehn Jahren bei Lord Henry Peters, einem selbstgefälligen, streitsüchtigen und einst anerkannten, redegewandten Historiker mit Privatvermögen. Sie erledigt am Vormittag seine persönlichen Dinge. Als Rose\‘ Mutter ins Krankenhaus eingeliefert wird, kümmert sie sich um sie. Henry ärgert dies, denn eigentlich sollte ihn Rose zu seinem Vortrag in Manchester begleiten. Nun muss seine Nichte Marion, eine seit der Rezession nicht mehr so gut beschäftigte Innenarchitektin, mit ihm auf die Reise gehen. Marion hat eine Affäre mit dem charmanten Jeremy, einem Händler für alle möglichen gebrauchten Gegenstände, der für sie auch beruflich ein guter Kontakt ist, aber auch immer mit Banken in Verhandlungen steht und bald nicht mehr kreditwürdig ist. Seine Frau Stella, zeitweilig leicht hysterisch veranlagt, hat nun eine SMS von Marion auf Jerrys Handy entdeckt, rastet aus und reicht die Scheidung ein.
Wäre Marion nach Jeremys Nachricht von der Entdeckung ihrer SMS nicht so durcheinander, hätte sie nicht die Aufzeichnungen ihres Onkels Henry und die Fahrkarten vergessen. Aber der Experte für die Politik des 18. Jahrhunderts macht sich keine so großen Sorgen wegen des Vortrages. Aber dann läuft alles schief, Henry kann sich nicht mehr an Namen, Zusammenhänge oder gar Geschichtszahlen erinnern. Ein Desaster. Marion dagegen sitzt beim Essen in Manchester neben George Harrington, einem Banker, der zum kreativ künstlerischen Zeitvertreib Wohnung aufkauft, ausstattet und wieder verkauft. Marion ist genau die richtige Expertin für alle möglichen Stile vom englischen Landhausstil bis Art déco. Schnell sind die beiden sich einig und Marion beginnt für ihn zu arbeiten.
Als Charlotte als ehemalige Lehrerin feststellt, dass sie mit der gebrochenen Hüfte ins Haus ihrer Tochter ziehen muss, sinkt ihre Stimmung gegen Null. Die gewonnene Eigenständigkeit ist ihr Lebenselixier. Da sie Analphabeten unterrichtet bricht auch noch ihre sinnvolle Beschäftigung weg. Auf einen Schüler jedoch will sie nicht verzichten, Anton aus Osteuropa. Er ist Mitte fünfzig und in der Hoffnung nach England gekommen, ein neues Leben zu beginnen. Anton kann gut sprechen, aber nicht lesen.
Charlottes Unfall sorgt dafür, dass sich Menschen begegnen, die sich vorher nie gesehen haben. Sie gehen aus Eigennutz, aber auch ehrlicher Sympathie Beziehungen ein, die sie voranbringen oder in Konflikte stürzen. Mit leichtem ironischen Augenzwinkern erzählt die lebenserfahrene englische Autorin von ihren Figuren, die sie ihrer Schwächen wegen nicht belächelt, sondern eher mit Empathie auch in die Abgründe begleitet. Immer dreht sich alles um Geld oder Liebe und um Geheimnisse.
Marions Begegnung mit dem Banker, der irgendwann auf den Bermudas verhaftet wird, bringt sie finanziell in äußerste Schwierigkeiten. Henrys vermasselter Vortrag aktiviert all seine Kräfte, um nochmals mit siebenundsechzig Jahren auf irgendeine Weise ohne einen Moment des Zweifelns ins Rampenlicht zu gelangen. Wie lächerlich und weltfremd er sich benimmt, spielt für ihn und seine arrogante Sicht auf andere Menschen keine Rolle. Er fällt auf den Schmeichler Mark herein, der auf seine Kosten eine gute Akademikerkarriere machen wird.
Der windige Jeremy will um jeden Preis seine Ehe retten, aber er will auch weiterhin seine Liebschaft mit Marion pflegen. Rückgrat oder gar moralisches Empfinden scheinen um des Profits wegen nicht mehr gefragt.
Nur das sensible und vorsichtige Paar Rose und Anton, sie hat ihn beim Lesen in ihrem Wohnzimmer kennengelernt, sind die Ausnahme, wenn es um wahre Zuneigung und Anstand geht. Gerry, Rose’s Ehemann, ist einfach ein Langweiler, auch wenn dies niemand laut ausspricht. Er liebt seine Rituale und seine Katze und was könnte ihn schon aus dem Takt bringen, auch Charlotte bemerkt nichts von der neuen Verbindung ihrer Tochter.
Penelope Lively erzählt in den schwierigen Zeiten der Rezession von sieben unterschiedlichen Menschen und ihren Schicksalen, die sich durch den Überfall auf Charlotte gegenseitig bedingen und beeinflussen. Am Ende werden alle ihre Erfahrungen gemacht haben, die einen werden mit ihren Entscheidungen glücklich sein, die anderen werden bitterlich am Küchentisch sitzen und weinen.
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