Joanna Rakoff: Lieber Mr. Salinger, Aus dem Amerikanischen von Sabine Schwenk, Knaus Verlag, München 2015, 304 Seiten, €19,99, 978-3-8135-0515-3

„Für meine Chefin war die Agentur kein reines Geschäft, sondern eine Lebensweise, eine Gemeinschaft, ein Zuhause. Insofern hatte die Agentur eher etwas von einem studentischen Geheimbund oder – wobei mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst war, wie weit das ging – einer Religion mit klar definierten Praktiken und Göttern, die es anzubeten galt: an erster Stelle J. D. Salinger, der oberste Gott, dann Fitzgerald als eine Art Halbgott, gefolgt von Dylan Thomas, ….“

Die Autorin Joanna Rakoff erzählt von ihrem allerersten Job, nachdem sie mit vierundzwanzig Jahren, ihre Abschlussarbeit befasste sich mit Sylvia Plath, die Universität absolviert hatte. Alles, na ja fast alles entspricht wirklich der Wahrheit in diesem „Salinger-Jahr“. Ohne je ein Buch des berühmten Autors gelesen zu haben, beginnt sie, ohne viel darüber nachgedacht zu haben, ihre Arbeit in seiner Literaturagentur. Und sicher geht es vielen Lesern so, die ebenfalls „Der Fänger im Roggen“, 1951 erschienen, als das entscheidende Buch in einer bestimmten Phase der Pubertät verpasst haben. Joanna, die ziemlich wenig als Assistentin verdienen wird, fährt jeden Tag von Brooklyn aus ins Herz von Manhattan.

Versehen aus einer „Patina mit altertümlichen Muff“ kommen ihr die Agenturräume vor. Sie wird von ihrer nikontinabhängigen Chefin wie eine Möbelstück behandelt und doch gewöhnt sich Joanna langsam an den Büroalltag, denn im Nebenzimmer arbeitet der hilfsbereite Hugh. Joanna hämmert mit Hilfe eines Diktafons einen Brief auf cremefarbenen Papier nach dem anderen in die Schreibmaschine, obwohl das Jahr 1996 geschrieben wird und die meisten Firmen nur noch mit Computern arbeiten. Joanna akzeptiert als Anfängerin alles, auch wenn nun langsam klar wird, dass sie wirklich nur als Sekretärin, wie ihr Vater vorausgesagt hatte, arbeitet.

Die Vorstellung, dass sie in Manuskripten versinken wird, bleibt noch eine Traum. Außerdem ist sie mit strengen Auflagen belegt worden und die betreffen natürlich den Star-Autor der Agentur. Niemals darf sie als Assistentin Salingers Telefonnummer oder Adresse herausgeben, sie soll nicht mit ihm reden und ihn sofort, wenn er sich meldet, an die Chefin weiterleiten. Und dann kommt der Tag, an dem Salinger ins Telefon brüllt und bei Joanna landet, da die Chefin nicht im Hause ist. „Jerry“ jedoch klingt ganz normal und alles was abzusprechen ist, erledigt Joanna. Kein Staatsakt, wäre da nicht die altmodische Chefin und ihre verstaubten Ansichten.

Natürlich wollen alle jungen Absolventen selbst schreiben. Und so verfasst Joanna Gedichte, was sie auch Salinger erzählt. Auch ihr Freund Don arbeitet an seinem Roman. Die Tage vergehen und Joanna erhält die ehrenvolle Aufgabe alle Briefe und das sind wirklich viele, die an Salinger gerichtet sind, mit einem ablehnenden Standardbrief zu beantworten. Bei manchen Briefen fällt ihr das nicht schwer, bei anderen lässt sie sich dazu hinreißen, einfach doch in ihrem Namen zu antworten.
Und dann will Salinger in einem kleinen Verlag, dessen Verleger und einziger Mitarbeiter es gewagt hat, ihn einfach anzuschreiben, eine seiner Erzählungen veröffentlichen.

Alles auf Angang – so liest sich dieser Roman, der tief blicken lässt in die Strukturen einer Literaturagentur, die mit lebenden, wie toten Autoren und ihrem Werk arbeitet. Joanna lebt mit einem ambitionierten etwas älteren Mann zusammen, der sich für einen Sozialisten hält, viel schreibt und voller Ideen ist, wenn es um seine eigene Person geht. Profane Dinge, wie die fehlende Spüle in der Küche oder eine defekte Heizung, interessieren ihn kaum. Mit seinen „Texten von nebulöser Dichte“ kommt Joanna nicht so richtig klar und es wird sich auch nie klären, ob er je einen Verlag für seinen Roman gefunden hat. Beide möchten gern ein Schriftstellerleben führen und stehen sich irgendwie im Wege. Aber Joanna, die mit Don gern Freunde trifft, in Cafés abhängt, ist eine Zeit lang glücklich in Williamsburg.

„Dies war nicht das New York von Woody Allen, das New York der Hochhäuser und Portiers, der großen Träume und Hollywood-Bildmontagen. Aber es war mein New York. Und ich liebte es.“

Eine gute Freundin von Joanna Jenny arbeitet kaum ein paar Blocks von ihr entfernt. Aber immer wenn die beiden sich zum Mittag treffen und ihre überteuerten, wie abgeschlafften Sandwiches essen, spürt Joanna die Entfremdung, sie sich zu Freunden einstellt. Jenny schreibt keine Lyrik mehr, da ihr Verlobter, den sie bald heiraten wird, nichts von Literatur oder gar erfundenen Romanen hält. Sie passt sich ihm an und bemerkt die ungesunde Symbiose nicht mal. Auch Dons Freunde reden nur noch vom Heiraten. Joanna hat da ganz andere Ziele.

Sie sieht Autoren kommen und gehen und sogar Judy Blume, die sie noch als Kinderbuchautorin kennt, würde gern mit einem neuen Buch allerdings für Erwachsene in die Agentur einsteigen. Aber die Chefin versteht das Buch nicht und Joannas Meinung interessiert sie nicht wirklich.

Langsam kann Joanna von anderen Lektoren versorgt endlich auch Manuskripte lesen. Innerhalb der Agentur gibt es einen kleinen Aufstand und danach wird endlich ein Computer, aber nur für Recherchen, angeschafft.

Für Joanna ist es ein bewegtes Jahr und für den Leser ein Blick in die Welt der Literatur, die Joanna über alles liebt. Diese Leidenschaft und das Flair New Yorks übertragen sich automatisch auf den Leser.