Kristine Bilkau, Die Glücklichen, Luchterhand Literaturverlag, München 2015, 304 Seiten, €19,99, 978-3-630-87453-1

„Zweifeln, denkt sie plötzlich, auch das Zweifeln ist ja eine Folge der Angst, der Befürchtung, dass es, ein Solo, ein Probespiel, das Geldverdienen, das Zusammensein, oder selbst eine Woche in dieser Dachgeschosswohnung, nicht gelingen wird.“

Sie sind ein dynamisches Paar und stehen mitten im Leben – Isabell, die Cellistin und Georg, der festangestellte Journalist einer renommierten Zeitung. Ihr Sohn Matti ist knapp über ein Jahr alt, gesund durch Biokost und umsorgt. Sie wohnen in einer großzügig geschnittenen Wohnung, in einem Viertel mit Grünanlagen, kleinen Läden. Isabell ist wieder in ihren Beruf zurückgekehrt, aber sie findet nicht mehr die innere Ruhe und Präzision der vergangenen Jahre. Bei jedem Solo im kleinen Ensemble zittern ihre Hände. Sie schweigt und hofft, wenn sie es nicht ausspricht, dann wird es schon wieder vergehen. Georg spürt, dass Isabell nicht entspannt ist, spricht es aber nicht an.
Für beide ist das Leben nun zu einer „Ralley“ geworden. Sie kümmert sich am Tag um ihren Sohn und Georg bestreitet das Abendprogramm, wenn Isabell im Musicaltheater spielt. Auch ihn treiben Sorgen um, denn seine Arbeit wird immer hektischer, er schreibt immer weniger und spürt die Defizite.
Als dann die Zeitung in die Krise gerät und ihre Mitarbeiter entlässt, beginnt für den Mittvierziger die Suche nach beruflichen Alternativen. Vor Kurzem besuchte Georg noch einen einst erfolgreichen Verpackungsdesigner internationaler Markenprodukte, der sich nach der Insolvenz der Firma mit seinem Partner mediale Schlammschlachten geliefert hatte. Jetzt lebt er auf dem Land, alternativ als Selbstversorger. Isabells Vertrag wurde nicht verlängert, aber sie hatte sich längst krankschreiben lassen. Das wahre Problem jedoch hat sie auch bei der Physiotherapie nicht angesprochen, denn allein ohne Publikum kann sie ohne Zittern spielen.
Je länger die Angebote für Georg ausbleiben und Zusagen plötzlich in Absagen enden, um so heftiger werden die Spannungen zwischen dem Paar. Isabell versagt sich nicht ihre Einkäufe im Feinkostladen und hofft auf ein in der Ferne liegendes Vorspiel, das die Wende einläuten könnte. Georg jedoch spart jedes Lampenlicht und beginnt sich in die Idee zu verbeißen, dass sie in eine Kleinstadt ziehen könnten.
Beide suchen ihre kleinen Fluchten. Er schaut sich Häuser in Kanada oder Gehöfte in Schleswig – Holstein an, sie verfolgt das glückliche Leben einer Amsterdamer Familie, die ihre privaten Fotos im Netz postet. Beide umgeben sich mit Lügen und Halbwahrheiten und so engt sich das Leben der Kleinfamilie immer mehr ein.

„Fondsrente ruhen lassen, Lebensversicherung auch, nur den Sparvertrag für Matti nicht anrühren. Auf Kino, Restaurantbesuche, Lieferservice und diese dämliche Biokiste verzichten, im Sommer Zucchini, Zucchini, Zucchini, jede Woche, eine größer als die nächste, im Winter monatelang Rotkohl. Kein Biowein mehr, keine Milch aus der Molkerei, keine Brote, Quarkspeisen oder Käsesorten aus Manufakturen oder Werkstätten. Überhaupt: Genauer rechnen beim Einkaufen wird er jetzt.“

Matti hat nun einen Kindergartenplatz, aber Isabell nähert sich den Müttern kaum. Die Angst als Sozialhilfeempfängerin identifiziert und ausgegrenzt zu werden, nimmt ihr die Energie. Georg resümiert auch darüber, wie ihn die Außenwelt sehen könnte. Wer ist der Vater, der sich so intensiv um sein Kind kümmern kann, es morgens bringen und am Nachmittag im Buddelkasten sitzen.
Georg fühlt sich „beschädigt und disqualifiziert“, wenn er sieht wie seine ehemaligen Kollegen wieder Fuß fassen. Er glaubt, er habe alles selbst verschuldet.
Isabell und Georg nervt die Nähe in der Beziehung, sein Sparzwang und ihre Schuldzuweisungen. Als Isabell sorgenvoll seufzend endlich zustimmt und beide die Wohnung mit Garten in der Kleinstadt besichtigen, ist Georg wieder guter Dinge, aber nicht lang.

„… sie sehnt sich nach Schlaf, nach langem, tiefen Schlaf, vereint mit Matti, ihr Kind geschützt in ihrem kugelrunden Bauch, sie eingerollt, ein weiches Nachthemd am Körper, die Arme und Hände um den Bauch geschlossen, so möchte sie einschlafen und nicht mehr zurückkehren in diese Wirklichkeit.“

Kristine Bilkau ist eine präzise und stilsichere Erzählerin, die ungeschönt und psychologisch überzeugend auf der Seite ihrer Protagonisten steht. Sie gehören zu der Generation, der es nicht besser gehen wird als ihren Eltern, eine erdrückende Bilanz. Die gesellschaftliche Krise im Blick zeigt die Hamburger Autorin den unverschuldeten sozialen Abstieg einer Kleinfamilie. Isabell und Georg ersehnen sich eine Sicherheit, die für sie und viele andere gut Gebildete nicht mehr existiert