Jonathan Evison: Umweg nach Hause, Aus dem amerikanischen Englisch von Isabel Bogdan, Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2015, 348 Seiten, €19,99, 978-3462046595
„Ich sollte Warnsignale nicht mehr ignorieren. Wie viele Warnsignale habe ich ignoriert, bevor mein Leben explodiert ist? Und wie viele seitdem? Vor allem sollte ich wissen, dass ich Trev sowieso nichts verheimlichen kann.“
Benjamin Benjamin geht auf die vierzig zu, verneint die Frage, wenn es um Familie, Kinder oder Ehefrau geht und absolvierte einen Crashkurs, um Pfleger zu werden. Was ist mit diesem Mann, der den kläglichen Versuch unternimmt, mit Ironie sein Leben zu meistern, in dem wohl einiges tragisch verlaufen ist? Immerhin will er auf keinen Fall die Scheidungspapiere für Janet unterschreiben. Mit Händen und Füßen wehrt er sich gegen die Trennung von seiner Frau. Und in seinem Leben muss eine Katastrophe, wie er es bezeichnet, geschehen sein. Ein Unfall, bei dem er schuldig geworden ist.
„Als ich beschloss, mich um Menschen zu kümmern, die weniger Glück im Leben haben als ich, war ich pleite, also bin ich vielleicht nicht gerade Florence Nightingale.“
Und dann tauchen diese Namen auf: Piper und Jodi. Das sind Bens Kinder, die offensichtlich gestorben sind. Er hat sich als Hausmann und Vater um die Kinder gekümmert, Janet hat als Tierproktologin das Geld verdient. Jetzt steht Ben mit einem Haufen Schulden da, hat kaum noch Geld auf der Kreditkarte und nimmt einen mies bezahlten Job an. Trevor Conklin ist Bens Schützling, ein junger Mann, der an Muskeldystrophie leidet und im Rollstuhl sitzt. Er träumt vom Sex mit tollen Mädchen und wünscht sich jemanden an seine Seite, der seine Interessen teilt. Ben scheint ihm geeignet, doch Elsa, Trevors Mutter, ist nicht so begeistert vom neuen Pfleger, der immer wieder zu spät zum Dienst erscheint und in einem seltsamen Moment, sich ihr körperlich nähert. Ben ist wirklich unkonzentriert, irgendwie verloren in seinen Erinnerungen an die Kinder, die nicht mehr da sind.
Als Trevor die Diagnose für seine Krankheit gestellt wurde, war er drei Jahre alt. Zwei Monate später ist sein Vater Bob abgehauen. Heute lebt er weit fort von seinem Sohn in Salt Lake City und versucht immer wieder hilflos Kontakt zu Trev aufzunehmen. Er steht vor der Tür mit Brathähnchen und wird nie hereingelassen. Für Elsa, die mit Trevs schwerer Krankheit leben musste und zeitweilig völlig überfordert war, kommt diese Reue zu spät. Als Trev und Ben aus Spaß eine Landkarte anfertigen, reift ein Plan, den Elsa vehement ablehnt. Ja, sie feuert Ben, denn sie hat Angst um ihren Sohn. Doch Trev will nach Utah reisen, will unterwegs sein und seinen Vater nun doch sehen. Und dann beginnt diese Odyssee mit völlig fremden Trampern quer durch Amerika. Da ist die leicht durchgedrehte Dot, die immer zu dünn angezogen ist und die sich ganz langsam mit Trev anfreundet. Als ihr Auto nicht mehr fährt, steigen Elton und die hochschwangere Peaches in Bens Van. Und dann ist da dieses Auto, das den Van schon lang verfolgt. Allerdings sitzt hier nicht der Typ mit den Scheidungspapieren von Janet, vor dem Ben irgendwie auch durch diese Reise flieht, sondern Cash, Dots Vater, der sich Sorgen macht.
Durch diese Figurenkonstellation geschehen absolut verrückte Dinge, die sich Trev und schon gar nicht Ben beim Antritt der Reise vorgestellt hatten. Aber egal, was passiert, „Trev ist der Fels in der Brandung“.
Der amerikanische Autor Jonathan Evison erzählt im Grunde von Menschen mit tragischen Lebensgeschichten, die eigentlich gar nicht auszuhalten sind. Trevs Krankheit schreitet qualvoll voran, nimmt ihm jegliche Eigenständigkeit und führt frühzeitig zum Tod. Ben hat, ob nun fahrlässig oder auch wirklich nicht schuldig, den Tod seiner beiden Kleinkinder verursacht und erinnert sich in Rückblenden an die intensive Zeit mit Piper und Jodi.
Und doch zieht dieser Roman den Leser nicht in die Tiefe, er liest sich wunderbar leicht, denn nie stehen die seelischen oder zutiefst körperlichen Handicaps im Vordergrund, sondern immer der Blick nach vorne, als wäre die Phase der Selbstmitleids lang vorbei. Dabei fühlt der Leser mit den widersprüchlichen vom Leben gezeichneten Figuren, die sich nie leidtun, mit, spürt im Subtext immer Einsamkeit und Schmerz, die beide Hauptfiguren mit sich tragen. Aber sie zerbrechen nicht an ihrem Schicksal, sondern stützen, jeder auf seine Weise, den anderen. Trev und Ben kommen auf Umwege dann zu einem Zustand, den man vielleicht als inneren Frieden bezeichnen könnte oder als Zuhause.
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