David Nicholls: Drei auf Reisen, Aus dem Englischen von Simone Jakob, Verlag Kein & Aber, Zürich 2014, 536 Seiten, €22,90, 978-3-0369-5701-2

„ Was für ein Loch? Meinte sie etwa mich? ‚Warum sollte es ein Loch geben? Das muss doch gar nicht sein.
‚Und wir geistern allein durchs Haus…“

Douglas Petersen kann seine Frau Connie gar nicht verstehen. Warum sollte es nach über 20 Jahren Ehe langweilig werden, wenn Albie, der gemeinsame 17-jährige Sohn auszieht, um aufs College zu gehen? Aber offensichtlich sieht Connie ihre Lebenssituation fernab von London im großen Haus ganz anders als ihr Mann und das nun schon seit Jahren, wie sie zugeben muss. Eines Nachts weckt sie Douglas und eröffnet ihm, dass sie ihn wahrscheinlich verlassen wird.
David Nicholls erzählt die Geschichte der Kleinfamilie Petersen nicht als haarsträubende, bitterernste Scheidungsgeschichte, sondern als teils humorvolle, teils auch sehr ernsthafte Studie einer Ehe und ihres Scheiterns. Der Londoner Autor wählt dabei den sezierenden Blick seines Protagonisten Douglas und lässt ihn Gegenwärtiges schildern und an Vergangenes erinnern. Als Biochemiker analysiert Douglas alles haarklein und erst im Nachhinein versteht er, was in seinem Verhältnis zu seiner Frau und zu seinem Sohn schief gelaufen ist.
Connie will nichts überstürzen und so schlägt sie ihrer Familie vor, die für den Sommer geplante Grand Tour durch Europa mit den Stationen Paris, Amsterdam, München, Verona, Venedig, Florenz, Rom und Neapel doch gemeinsam noch zu erleben. Gedacht ist die Reise für Albie, der sich durch die Besuche in den Kunstmuseen Europas auf die Welt der Erwachsenen vorbereiten soll, so wie es im 18. Jahrhundert für „junge Männer der höheren Schichten“ üblich gewesen war. Die charismatische Connie ist in der Familie die Künstlerin, die als erfolglose Malerin nun in einer kunstpädagogischen Abteilung eines Museums arbeitet. Albie liebt seine Mutter über alles und hatte schon von jeher eine innigere Beziehung zu ihr als zu seinem Vater.
Für die Sommertour jedoch kann er sich kaum begeistern und hofft, die Eltern geben ihm das Reisegeld und er zischt mit seinen Freunden nach Ibiza ab. Aber keine Chance.

Bestechend genau und absolut glaubwürdig beschreibt David Nicholls das Leben eines Teenagers und seine Auseinandersetzungen mit dem Vater. Albie möchte ein dreijähriges Fotografiestudium absolvieren, wofür sein Vater nicht das geringste Verständnis hat. Ein großer Streit der beiden dreht sich darum, wie sehr man sich anstrengen sollte, um ein sinnvolles berufliches Ziel zu erreichen. Laut Douglas kann heutzutage jeder Fotos mit dem geringsten Aufwand schießen. Für ihn ist Albie einfach nur faul, talentfrei, geht den Weg des geringsten Widerstandes, nimmt nur sein Geld, ohne zu ahnen, was die Dinge wert sind und verschläft im wahrsten Sinn des Wortes sein Leben. Ausführlich beschreibt Douglas Albies Zimmer voller Bierdosen, dreckiger Socken und Unterhosen. „Es ist eine einzige massive Trotzreaktion.“ Natürlich gegen den Vater, der glaubt, eigentlich der Stiefvater zu sein.

Erfolgreich im Beruf, aber ständig müde und gestresst, nervt Douglas eher seine Familie, als dass sie mit ihm wirklich etwas anfangen kann. Dabei gibt sich Douglas alle Mühe, doch es fehlt ihm an Verständnis, Einfühlungsvermögen und vor allem an Zeit für den Sohn. Connie versucht Douglas‘ Interesse an Kunst und Kultur zu wecken, aber im Grunde gibt er ihr nur nach, weil er sie aufrichtig liebt. Sehr komisch ist das kurze Kapitel „Eine Kunstgeschichte“, in der Douglas seine Sicht auf ein paar tausend Jahre Menschheitskultur zusammenfasst.
Douglas bietet Connie den sicheren Hafen für ihre bisheriges chaotisches Leben. Douglas ist der „große altmodische Feuerlöscher“ für die Familie.

In diesem Sommer muss Douglas an vielen verschiedenen Baustellen arbeiten, er will seine Ehe retten und die Beziehung zu seinem Sohn kitten und sich nie wieder mit ihm streiten. Nach reichlichen Pannen und peinlichen Auftritten von Douglas endet die Reise bereits in der dritten Stadt, in München. Albie sucht das Weite, denn sein Vater scheint sich offensichtlich für ihn zu schämen. Connie und Douglas befinden sich bereits auf dem Münchner Flughafen als Douglas beschließt, dem Sohn zu folgen und sich endlich mit ihm auszusprechen und auch auszusöhnen. Durch ein Telefonat vom bereits gebuchten Hotel in Venedig hat er erfahren, das Albie und Kat, eine junge Neuseeländerin, die Douglas extrem nervt, sich dort einmieten wollen.

Als Leser verbringt man durchaus gern unterhaltsame Stunden mit der Familie Petersen und ihrem langen Weg vom Kennenlernen, übers Familienleben mit allen Höhen und Tiefen bis hin zur Entscheidung, ob sich die Petersens nun trennen oder nicht. Sensibel, feinsinnig und mit trockenem Humor beobachtet David Nicholls eine interessante Familienkonstellation, die dem Leben abgelauscht scheint.