Kilian Leypold: Krähen gegen Ratten – Der Bandenkrieg von Murz und Matze, Carl Hanser Verlag, München 2014, 254 Seiten, €14,90, 978-3-44624631-7

„Eine Bande war ein Versprechen – das hatte er schon immer gewusst -, nur war es nicht immer dasselbe. Das Versprechen der Krähen war Abenteuer; du verwandelst dich in einen schwarzen Vogel und fliegst aus der behüteten Welt der Kinderzimmer hinaus; die Bande war ein Spiel, wenn möglich gefährlich, manchmal verboten, aber immer ein Spiel. Das Versprechen der Ratten war Schutz. Ihr Käfig kein Gefängnis, sondern eine Zuflucht. Hierher kamen sie, wenn sie es zu Hause nicht mehr aushielten, und zwar nicht vor Langeweile.“

Sie stellen ihre eigenen Regeln auf, haben ihren Geheimplatz und ihre Rituale, wollen oftmals mit den Erwachsenen nichts aber auch gar nichts zu tun haben und leben frei und ungezwungen das abenteuerliche Leben, das ihnen gefällt – die Kinderbanden in der Kinderliteratur. Dabei ist für viele Mädchen und Jungen heutzutage die Zeit der unbeaufsichtigten Kindheit längst vorbei. Ihr Leben ist durch den stressigen Schulalltag und diverse Freizeitaktivitäten Tag für Tag durchgetaktet. Wenn sich Kinder heute verabreden, dann spielen sie meistens zu zweit. Kinderbanden, die sich am Nachmittag spontan zusammenfinden, sind selten, wie überhaupt das Spiel auf der Straße. Das Bandenleben ist für viele junge Leser ein Sehnsuchtsthema und der Münchner Autor Kilian Leypold greift es auf und erzählt eine wunderbare realistische, wie magische Geschichte.
Alles beginnt mit einem unfairen Überfall. Murz, der Mäusetöter, der eigentlich Kurt heißt, und zur Bande der Krähen gehört, wird von vier Kindern, die sich die Ratten nennen, auf neutralem Territorium überfallen.

Austragungsort der feindlichen Aktionen ist eigentlich die Mettenstraße ( auch der Wohnort des Autors ) in einem unspektakulären Münchener Stadtteil. Auf der einen Seite wohnen Matze, Güncal, Dazan und Roya in Sozialwohnungen und auf der anderen Murz, Flac, Teer und Kralle, die in Eigentumswohnungen leben. Anführer der Ratten, die sich irgendwie für eine Straßengang im Gangsterrapperstil halten, ist der „fette Koloss“ Matze. Flac ist der Meinung, er ist der Krähenboss, aber die anderen Krähen sehen das irgendwie nicht so eng. Für sie ist das Bandending ein Spiel und eigentlich sollte es mehr um Köpfchenarbeit gehen, als dass gewürgt, geprügelt und getreten wird. In den Augen der Ratten haben die körperlichen Auseinandersetzungen schon viel mehr Gewicht. Da können die Krähen noch so komische Dinge vorschlagen, z.B. beim nächster Kampf treten alle in Röcken an, die Ratten haben keinen Humor.

„Die Ratten konnten machen, was sie wollten. Die Krähen mussten nach ihrer Pfeife tanzen. Und das wurmte Murz so sehr, dass er mit den Zähnen knirschte.“

Als Murz jedenfalls so richtig von gnadenlosen Ratten gedemütigt wird, sie jagen ihn in Unterhose durch ein Brennessellfeld und klauen auch noch sein neues Fahrrad, lässt die Revanche nicht auf sich warten. Murz klaut kurzerhand den kleinen Hund von Matze.

Immer im Perspektivenwechsel erzählt Kilian Leypold aus der Sicht von Matze oder Murz. Wie sehr Matze an seinem kleinen Hund hängt, wird nach den Diebstahl des Vierbeiners so richtig deutlich. Allein mit seinem ständig alkoholisierten und prügelnden Vater hat der Junge nicht viel zu lachen. Die Bande ist für ihn Zuflucht und Heimat. Murz, der allein mit seiner Mutter lebt, dagegen offenbart in seinen Schilderungen wie oft er am Tag so vor sich hinträumt und Fantasieszenarien entwirft, wie er zum Beispiel als Mäusetöter mit den Käfern kämpft. Die Ratten können darüber nur feixen.

Nach all der Prügelei und Zankerei finden die Krähen und die Ratten einen Stein und spekulieren, ob er nun leichter oder schwerer als ein Kilogramm ist. Hier kommt Matze mit seiner Leidenschaft fürs genaue Messen und Wiegen ins Spiel. Alles in seinem Leben ist unwägbar und unsicher, nur die Zahlen sind zuverlässig und sicher. Die Krähen sagen, der Stein ist leichter als 1kg, die Ratten behaupten das Gegenteil. Da sich unweit ihrer Straße ein Eichamt befindet, beschließen die Krähen und die Ratten mit ihrem neuen erwachsenen, ziemlich seltsamen Bekannten und Schiedsrichter, er nennt sich Tom Döse, den Stein dort wiegen zu lassen. Das läuft natürlich schief und die Banden müssen sich etwas Neues einfallen lassen. Sie brechen einfach ein. Allerdings soll dieses Risiko jeweils ein Bandenmitglied eingehen. Mutproben stehen wiedermal auf der Tagesordnung, denn die Ratten halten die Krähen ja sowieso für Weicheier. Murz und Matze stürzen sich ins Abenteuer und zum ersten Mal beginnt Murz sich für Matze zu interessieren. Matze erzählt ihm vom Urkilo und der Genauigkeit dieses Prototyps, denn nur das, was man messen kann, existiert wirklich. Und was ist mit Freundschaft, Gedanken u.v.a., hält Murz dagegen. Aber auch Murz hat ein Geheimnis, das er im Eichamt dem erstaunten Matze präsentieren möchte.

Kilian Leypolds rivalisierende Banden spiegeln lebensecht den möglichen Alltag der 12-Jährigen in einem ruhigen Stadtteil, denn immerhin befindet sich das Krähennest in einem unbeobachteten Ort, wieder. Auch wenn man wenig über die anderen Bandenmitglieder ( vielleicht sind ja noch Bände geplant?) neben Murz und Matze erfährt, sie klagen nicht gerade über Helikoptereltern, die sie pausenlos kontrollieren und reglementieren, ganz im Gegenteil, die Ratten haben alle offensichtlich gravierende Probleme mit ihren Familien. Die Kinder erleben ihren Freiraum als Spiel oder Fluchtort, auch wenn ihre Kämpfe manchmal ziemlich ruppig ausfallen. Murz und Matze, beides gut gezeichnete, auch widersprüchliche Figuren, jedenfalls überwinden den tiefen, unsichtbaren Graben, der die Banden trennt und könnten Freunde werden.