Angelika Overath: Sie dreht sich um, Luchterhand Literaturverlag, München 2014, 280 Seiten, €19,99, 978-3-630-87349-7

„Man muss mit den Bildern allein sein. Man muss sich vor den Audiogeräten hüten. Die Bilder sind scheu, sie brauchen Ruhe. Noch einmal, dachte Anna, noch einmal soll es gelingen. Sie wählte eine spätere Stunde. Bitte dreh dich um, dachte sie.“

Er hat die zwei Frauen, Anna Ancher und Marie Krøyer, gemalt wie Prinzessinnen, der wohl berühmteste Maler im dänischen Skagen, Peder Severin Krøyer.
Annas hochschwangere Mutter hatte sich so über den Besuch des berühmten Hans Christian Andersen und seiner Übernachtung im heimischen Gasthof aufgeregt, dass Anna am 18. August 1859 geboren wurde. Nun schweben die Frauen in langen Kleidern am Strand entlang, zumindest auf dem Bild mit dem Anna Michaelis, die Hauptfigur dieses Romans, sprechen kann. Die Bildfiguren wenden zwar dem Betracher den Rücken zu, aber für Anna drehen sie sich um und erzählen von sich, von ihrem Künstlerinnenleben, von Kindern, neuen Ehen, Enttäuschungen mit den Männern und im Beruf.

Anna Michaelis, Anfang 50, könnte nun von sich erzählen, aber sie hört lieber zu. Sie steckt in einer Lebenskrise. Ihr Mann Georg, Altphilologe und Oberstudienrat, hat sich in eine blutjunge Referendarin verliebt. Sie möchte ein Kind von ihm.\r\nAnna verlässt ihr Reihenhaus voller Erinnerungen an eine lange Ehe, Kinder, Höhen und Tiefen. Sie täuscht vor, auf einer Reise zum Himalaya zu sein, liest keine Mails und nimmt sich, als Journalistin das Reisen gewohnt, eine Auszeit.

„Und wenn man kein Ziel hat, dachte sie, muß man sich eines erfinden.“
Sie, die Frischverlassene „mit dem flatternden Ich“ betrachtet Bilder und lässt diese für sich sprechen. Anna kann in den Galerien unter Menschen sein und doch allein.
Und so reist die Protagonistin, die sich auch immer wieder an ihre Ehe mit Georg erinnert, von einer Stadt, einer Galerie zur nächsten, denn für sie geht es „um einen Wink für’s Weiterkommen“.
Von Edinburgh und „Jakobs Kampf mit dem Engel“ von Paul Gauguin nach Kopenhagen zu Vilhelm Hammershøis Gemälden, dann nach Boston zu Edward Hopper und seiner Frau und nach St. Moritz zu Giovanni Segantini.

„Vielleicht war es die Gleichzeitigkeit von Tod und Leben, die sie in Segantinis Bildern spürte. Seine Lichtnatur hatte immer etwas vom Vorschein eines schönen Totenreiches.“

Anna zieht Bilanz, ob es nun im Louvre ist oder auf der dänischen Malerinsel. Sie lässt sich auf einen kurzen One-Night-Stand ein, spürt sich und weiß, dass sie in ihrer Ehe mit Georg vielleicht doch vieles als zu selbstverständlich hingenommen hat. Nie geht es um moralische Entrüstung, dazu ist die Heldin zu lebenserfahren und zu klug.

Die Bilder und ihre Geschichten begleiten die Lektüre dieses gut geschriebenen Romans. Kunst und Leben verbinden sich für Anna auf beruhigende Weise und bei ihrer Krise ohne große Dramen lohnt sich das Zuhören und Abwarten.