Alan Bradley: Flavia de Luce – Tote Vögel singen nicht, Aus dem Englischen von Gerald Jung und Katharina Orgaß, Penhaligon Verlag, München 2014, 320 Seiten, €19,99, 978-3-7645-3100-3
„Wie bei jeder Begegnung mit einer Leiche überkam mich die flüchtige, unvernünftige Furcht, der oder die Tote könnte plötzlich aufspringen, ‚Buh!‘ rufen und mit eisigem, tödlichen Griff meine Hand packen.“
Die letzte Krimigeschichte um die junge, heimlich agierende Privatdetektivin Flavia de Luce mit der morbiden Vorliebe für alle Arten von Giften und chemischen Experimenten endete mit der Nachricht, dass die Leiche ihrer Mutter, Harriet de Luce, nach zehn Jahren im Himalaja gefunden wurde. Im Jahre 1941 verschwand Flavias Mutter bei einer Bergtour und alle vermuteten, dass sie hilflos in einer Gletscherspalte ums Leben gekommen war. Nun wird der leblose Körper der Mutter wie bei einem Staatsbegräbnis in den kleinen Ort Bishop’s Lacey überführt. Die elfjährige Flavia, die ihrer Mutter so ähnlich sehen soll, ist die Erzählerin und Beobachterin des Geschehens. Sogar Mr. Churchill ist am Bahnhof anwesend, um der Toten die letzte Ehre zu erweisen. Seltsamerweise flüstert er Flavia ein Wort zu: Fasanensandwiches. Und wie kann es anders sein, ein fremder, großer Mann kommt, nachdem er ebenfalls Flavia gesprochen hatte, auf den Schienen ums Leben. Aber das Mädchen ist ja in ihrer Umgebung seltsame Dinge gewohnt und so wundert es sie nicht, dass plötzlich auch noch eine nahe, aber völlig unbekannte Verwandte, Lena de Luce, nebst nerviger Tochter Undine auftaucht. Flavia reicht es schon, sich mit der bekannten Verwandtschaft herumzuschlagen, z.B. mit Tante Felicity. Dass sie Flavia auf geheime Weise unterstützt hat und ebenfalls Geheimnisse ausplaudern wird, und das auch noch hoch in der Luft, hätte der neunmalkluge Teenager nicht vermutet.
Flavias Vater, durch schreckliche Kriegserlebnisse in japanischer Gefangenschaft, und die Aussicht seinen Wohnsitz zu verlieren, gedemütigt, bricht am Sarg der Ehefrau zusammen. Vorher jedoch musste Flavia, die ja gern an Türen lauscht und sich in alle möglichen Gespräche einmischt, etwas Bedrohliches beobachten.
„Vater weinte immer noch, aber nur noch ganz leise. ‚Harriet‘, flüsterte er heiser. ‚Harriet, meine Liebste, verzeih mir. Ich war es.\’“
Flavia kann sich keinen Reim auf dieses Bekenntnis machen. Was war er? Was steckt hinter diesem Staatsbegräbnis? Welche geheime Rolle spielte Flavias Mutter wirklich während des Krieges? Flavia kommt auf die wahnwitzige Idee, sie könnte ihre zu Eis gefrorene Mutter wiederauferstehen lassen. Typisch, Flavia!
Doch welches Mädchen wagt es schon, den Sarg der eigenen Mutter anzutasten?
Flavia natürlich, aber die Hobbychemikerin muss sich erstmal belesen.
„ Ein fürchterliches Gefasel! Noch mit auf dem Rücken gefesselten Händen, in einen Kartoffelsack gesteckt und in einen tiefen See geworfen, hätte ich eine glaubhaftere Theorie über Wiederauferstehung zustande gebracht!“
Flavias Erfindungsgeist und ihre diversen Kenntnisse führen dazu, dass sie sich alles besorgt, was sie während der Totenwache benötigt, um den Sarg der Mutter zu öffnen. Friedlich ist der Anblick der Verstorbenen, deren Jacke die Tochter durchwühlt und eine Brieftasche mit dem Testament findet und eine geheime Botschaft, die es zu entschlüsseln gilt. Doch dann rückt Sir Peregrine Darwin, der Rechtsmediziner des Innenministeriums, mit seiner Mannschaft zu einer Autopsie an und hat offensichtlich einen Verdacht. Ist Harriet ermordet worden? Gibt es innerhalb der Familie einen Verräter oder eine Verräterin?
Im nun mittlerweilen sechsten Band enthüllt der kanadische Autor Alan Bradley das Familiengeheimnis der de Luces und das, wie immer, mit viel Humor trotz Todesfall.
Er rückt von seinem üblichen Erzählschema, der Whodunit-Frage, ab und blickt eher, dank Flavias Neugier, in die Vergangenheit der Familienmitglieder und ihrer geheimen Organisation, in der es dunkle und helle Gestalten gab und gibt.
Am Ende wird Flavia ihr geliebtes Zuhause und das Labor verlassen, um endlich auf eine ordentliche Schule in Kanada zu gehen, eine Höhere Mädchenschule, die auch Harriet einst besuchte.
Fragt sich nun, ob das Flavia de Luces letzter Streich war oder ob sie in Kanada weiter ermitteln wird.
Schreibe einen Kommentar