Elizabeth Strout: Bleib bei mir, Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth, Luchterhand Literaturverlag, München 2014, 333 Seiten, €19,99, 978-3-630-87445-6

„ Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er fühlte sich ausgelaugt von Müdigkeit; wie oft war er in den vergangenen Monaten an dem Autohaus in Hollywell vorbeigefahren und hatte Neid auf die Verkäufer dort verspürt, deren Verantwortung für die Seelen ihrer Mitmenschen so viel weniger unmittelbar oder direkt war.“

Als Reverend in West Annett hat Tyler Caskey viele Aufgaben. Er muss sich um die Menschen kümmern, ihre Sorgen, ihre Freuden, die Gemeinschaft. Als er seinen neuen Posten antrat, schien mit ihm, dem großen, enthusiastischen Mann, ein frischer Wind in die Gemeinde zu wehen. Mit seiner Predigt überzeugt er den Gemeinderat, seine Frau Lauren jedoch, eine stattliche wie eigensinnige Person, findet gerade bei den weiblichen Mitgliedern wenig Zuspruch. Sie legt zu viel Wert auf Äußerliches, geht gern shoppen und beteiligt sich innerhalb der Gemeinde weder am Frauenbund noch am Bibelkreis. Sie malt die Wände im tristen Farmhaus rosa an und kann sich doch nicht an das neue Leben mit einem Pastor, der nicht viel verdient, gewöhnen. Die Menschen in Maine selbst jedoch sind in diesem kühlen Landstrich eher wortkarg und vor allem davon überzeugt, dass das Leben ein Kampf ist. Die „Sommerfrischlerin“ Lauren aus einer gutsituierten Bostoner Familie stammend passt so gar nicht in diese Gegend. Auch die Ehe der Caskeys ist geprägt durch feine Risse, die im Laufe der Zeit immer größer werden. Im Hintergrund der Handlung, die am Ende der 1950er Jahre spielt, schwingt die Angst vor einem Atomkrieg mit.

Tyler jedoch geht in seiner Arbeit auf, fühlt sich Dietrich Bonhoeffer und seinen Idealen nahe und erweitert seinen Horizont. Als zwei Mädchen geboren werden, scheint die Idylle komplett. Doch dann verstirbt Lauren an einem Tumor und verflucht den Gott ihres Mannes. Tyler versinkt in eine tiefe Trauer. Er, der doch durch seine Berufung für andere ein Ohr haben muss, benötigt jetzt selbst Unterstützung und keine Berge von undefinierbarem Essen. Seine zupackende und nicht gerade feinfühige Mutter kümmert sich um die jüngste Tochter Jeannie. Die fünfjährige Katherine, die die Ablehnung ihrer Großmutter genau spürt, bleibt beim Vater. Katherine verschließt sich seit dem Tod der Mutter, sie ist abweisend und stumm. Kein Kind spielt mit ihr und sie sucht keine Nähe zu anderen. Dass Katherine nicht funktioniert ist Gesprächsstoff unter den Leuten, so wie jede Regung des Pastors in der Kleinstadt kein Geheimnis bleibt und die Telefonleitungen glühen, wenn die Gerüchteküche kocht.

Tyler jedoch fühlt sich kaum mehr in der Lage, seine Predigten zu schreiben und seine Verpflichtungen dem Gemeindekirchenrat gegenüber zu erfüllen. Ihn drücken seine Schulden, die ihm seine Frau durch ihre Kaufsucht hinterlassen hat und er will trotz Geldmangel unbedingt seine beiden Mädchen bei sich haben. Einzig in der Gegenwart seiner Haushälterin Connie Hatch fühlt er noch sein eigenes Ich. Aber dann gerät Connie in eine ausgeweglose Lage.

Elizabeth Stroud beschreibt bildlich genau und mit großer Empathie für ihre Figuren das Kleinstadtmilieu mit all seinen nervigen, aber auch warmherzigen Seiten. Stimmig ist ihre Erzählperspektive und die Handlungsführung überzeugt durch sprachliche Qualität. Tyler könnte seinen Posten verlassen, irgendwo neu beginnen. Aber er wäre nicht er, wenn er sich seinen Aufgaben entziehen würde.