Maria Ernestam: Die Liebesnachricht, Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs, btb, TB, München 2013, 415 Seiten, €9,99, 978-3-442-74657-6
„Die Geschichte wiederholt sich, unsere Erinnerungen tragen wir mit uns, und die unendliche Welt und die begrenzte Welt sind zwei Seiten derselben Medaille. Wie Amnon es bei seinem Besuch bei mir gesagt hatte. Jedes große Ereignis auf der Welt nimmt seinen Ursprung in Orten wie diesem.“
Man kennt sich untereinander in diesem schwedischen Ort am Meer. Und als Amnon Goldstein, der Jude und Journalist aus San Francisco, auftaucht, kommt Bewegung in die Gemüter.
Eher gelassen sieht es Mariana, die Erzählerin dieser Geschichte. Sie hat mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Ihr Mann Victor und ihre Tochter leben zeitweilig in den USA und sie selbst hat Ivo kennengelernt, einen Mann, der genau so wie sie das Marionettenspiel liebt. Mariana betreibt einen gut gehenden Laden für Puppen, Bücher und Antiquitäten. Sie liest gern Märchen vor, auch wenn die Eltern der Kinder da so ihre Vorbehalte pflegen. Ihre Schwester Elena führt eine bekannte Bäckerei und hat neuerdings ihre Liebe nicht für Hochzeitstorten, sondern für Scheidungstorten entdeckt. Die etwas chaotische und verträumte Karolina mag Zahlen und kann ausgezeichnet zeichnen.
Vor vielen Jahren wurde der Vater der drei Schwestern, Dimitri, ein Schausteller und Karussellbesitzer, der sesshaft wurde, ermordet. Mariana hatte den Vater gefunden. Er wurde erschossen und saß, als die Tochter ihn entdeckt hatte, angebunden auf einem seiner Karussellpferde. Das Gewehr des Großvaters lag daneben. Ein Anblick, den die Tochter nie vergessen wird. Aufgeklärt wurde der Mord nie.
Durch Amnons freundliche Fragen, er nähert sich mit seiner sympathischen Art den Bewohnern, kehren viele Erinnerungen zurück. So bleibt die Frage, ob Amnons Vater, der eine Zeit lang als Flüchtlingskind bei einer Anwaltsfamilie im Ort gelebt hat, Marianas Vater kannte.
Amnons Anwesenheit, er lässt das alte, verlassene Bäckerhaus wieder aufbauen, ruft aber auch Misstrauen auf den Plan. So fühlt sich Jan, der ortsansässige Pferdezüchter und Frauenschwarm, vom „Juden“ und seinen Plänen, ein Buch zu schreiben, belästigt. Immerhin geschehen seltsame Dinge. Mariana findet in der Nähe des noch stillgelegten Karussells Kuhaugen, Jan entdeckt in seinem Briefkasten ein Schweineherz. Marianas Ladenscheibe wird eingeworfen, ein Brand wird gelegt und Jans enorm teurer Zuchthengst Cassius wird entführt und kastriert aufgefunden.
Jan beschließt daraufhin eine Bürgerwehr zu gründen, die aber offensichtlich nichts Besseres zu tun hat, als die Wände der alten Bäckerei zu beschmieren. Genau zu dem Zeitpunkt gelangt Irina in den Ort. Die alte Frau lebte einst mit ihrer Mutter im Haus der alten Bäckerei und wurde von den Einwohnern als Fremde vertrieben.
Ob es um Gewalt, Schuld, Fremdenfeindlichkeit, ein anders geführtes Leben oder die Angst vor Veränderungen geht, in dem kleinen Ort kochen die Emotionen hoch. Ob nun erfunden oder wahrheitsgetreu, Amnon schreibt sie auf, die Erinnerungen an drei ausgestoßene Kinder, Dimitri, Amnons Vater und Irina, die sich gegen eine feindliche Meute, die Kinder um Jans Vater, zur Wehr setzen mussten. Sie wurden misshandelt und gedemütigt.
Sprachlich elegant und sehr unterhaltsam trotz vielschichtiger Erzählebenen liest sich dieser Blick Marianas in Vergangenheit und Gegenwart. Es entsteht das Bild eines im Krieg neutralen Schwedens, das trotz schwerer Zeiten auf keinen Fall so tolerant wirken mag wie erwartet. Vieles scheint sich zu wiederholen und es ist unfassbar, wie unbelehrbar eine aufgeklärte Gesellschaft in alte Verhaltensmuster zurückfallen kann.
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