Michel Bussi: Das Mädchen mit den blauen Augen, Aus dem Französischen von Olaf Matthias Roth, Verlag Rütten & Loening, Berlin 2014, 412 Seiten, €14,99, 978-3-35200876-4
„Und wie so oft in dieser Geschichte schlug das Pendel des Schicksals mal in die eine, mal in die andere Richtung aus. Damit die eine Familie Hoffnung schöpfen konnte, musste die andere alles verlieren.“
Am 23. Dezember 1980 fliegt ein Flugzeug auf der Route Istanbul – Paris wegen schlechter Sicht gegen ein Bergmassiv und stürzt ab. Wie ein Wunder überlebt ein drei Monate altes Baby diese Katastrophe. Doch wer ist dieses Kind? An Bord des Airbuses 5403 waren zwei Mädchen im gleichen Alter. Eine DNA-Probe ist zu dieser Zeit noch nicht möglich und so muss ein Gericht entscheiden, ob das Kind der wohlhabenden Familie de Carville übergeben wird und Lyse – Rose ist oder sie ist Emilie und gehört zu den Vitrals, die sich nur recht und schlecht mit ihrem Imbissbudenwagen durchs Leben schlagen. Auffällig sind die blauen Augen des Mädchens, deren Farbe sich sicher noch verändern könnte und doch.
Léonce de Carville, der vermeintliche Großvater, versucht mit allen Mitteln die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen. Er schreckt sogar vor einem Kaufangebot an die Vitrals nicht zurück, um sein Enkelkind zu bekommen. Nur ein kleines goldenes Kettchen, dass de Carville dem Kind geschenkt hatte und vor Gericht einfach verschwieg, dass beim Baby aber nicht gefunden wurde, entscheidet über den Entschluss, das Kind den Vitrals zuzusprechen.
Neben den Aktivitäten de Carvilles bleibt auch seine kühle Frau Mathilde de Carville nicht untätig und engagiert den Privatdetektiv Crédule Grand-Duc für 18 Jahre zu einem hohem Jahreshonorar. Seine Aufgabe, er soll recherchieren und klären, wer dieses Kind wirklich ist. Seltsamerweise begeht Grand-Duc zu Beginn der Geschichte Selbstmord, obwohl er in letzter Sekunde noch eine auffällig Entdeckung macht, die den gesamten, zermürbenden Fall noch herumreißen könnte.
Immer im Wechsel zwischen 1980 und den damaligen Geschehnissen und der Gegenwart 1998, 18 Jahre nach dem Absturz, entwickelt der französische Autor diese dramatische Geschichte, die den Leser in absoluter Spannung hält.
Immer wieder glaubt man, dass man nun endlich Gewissheit hat, zu welcher Familie Emelie, die die Presse aus einer Zusammenziehung der beiden Vornamen immer nur „Lylie“ oder die „Libelle“ nennt, gehört. Und doch wird der Leser immer wieder auf eine falsche Fährte gelockt.
Einem Krimi gleich geschehen Unfälle, aber auch Morde.
So kommt unmittelbar nach dem Gerichtsurteil Pierre Vitral ums Leben. Seine Frau Nicole konnte sich geradeso retten. Nun muss sie mit wenig Geld das Leben der Kleinfamilie stemmen. Sie kümmert sich aufopfernd um ihre Enkelkinder Emilie und Marc. Mathilde de Carville, ihr Mann ist inzwischen durch zwei Schlaganfälle an den Rollstuhl gefesselt, richtet für ihre vermeintliche Enkelin ein Konto ein und übergibt Nicole einen Ring, den sie dem Kind aushändigen soll, wenn sie 18 Jahre und eine de Carville ist. Dieses Geld wird Nicole für Emilie benötigen, denn das Mädchen ist, ganz aus der Art geschlagen, musikalisch hochbegabt. Ein Klavier könnten sich die Vitrals gar nicht leisten, geschweige denn die Unkosten für den Unterricht, die Kleidung für Auftritte oder Reisen.
Die Identität des Babys kann sich nur durch einen DNA-Test Jahre später klären. Der Privatdetektiv übermittelt beiden Großmüttern das Ergebnis.
Emilie wird mit 18 Jahren den Ring tragen und doch ist immer noch nicht klar, wer wirklich die Mutter des Wunderkindes ist.
Emilie selbst hält nach 18 Jahren die Recherchen des Privatdetektivs in Händen, taucht ab und übergibt die Aufzeichnungen ihrem Bruder Marc, der sie innig liebt. Für ihn ein Indiz, dass sie auf keinen Fall seine Schwester sein kann.
Grand-Ducs Aufzeichnungen durchziehen den Roman und bringen nach und nach Klarheit in den Verlauf der Geschichte. Zwar enden seine aufwändigen Recherchen in der Türkei oder am Unfallort immer wieder in Sackgassen, so öffnet sich doch am Ende eine Tür, die den Leser wieder ins Jahr 1980 zurückführt.\r\n\r\nDoch warum hat der Privatdetektiv Selbstmord begangen, wenn er nun endlich die Lösung vor Augen hatte? Marc beginnt nachzufragen und hat die verrückte Malvina de Carville, ausgestattet mit einem Revolver, am Hals, die durchgedrehte Schwester der vermeintlichen Lyse-Rose.\r\nWar das Gasleck im Wagen der Vitrals wirklich ein Unfall oder ein in Auftrag gegebener Mord?\r\nWie wird Emilies Identität nach 18 Jahren nun endlich aufgedeckt?
Mit unglaublich cleveren Erzählwendungen wühlt Michel Busse den Leser auf, führt ihn in die Irre und löst am Ende doch recht glaubwürdig das Ganze auf.
Ein unschuldiges Kind weckt maßlose Ansprüche, Begehrlichkeiten und zerstört Menschenleben, ohne es zu ahnen.
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