Brigitte Glaser: 8 Tage im Juni, Boje Verlag, Köln 2013, 221 Seiten, €11,99, 978-3-414-82363-2
„Sie dachte an den Friesenplatz, nein, nicht an die Schlägerei, sondern an die Situation danach. Wie sie nebeneinander auf dem Bahnsteig lagen, Kopf an Kopf, schwer atmend, sich immer noch an den Händen haltend, obwohl dies nicht mehr nötig war.“
Sonntagnacht in einer Kölner U-Bahnstation: Der 17-jährige Lovis wird von drei angetrunkenen Schlägern brutal verprügelt und auf die Bahngleise geworfen. Jenny beobachtet die Tat, ruft die Polizei und zerrt Lovis, bevor der Zug kommt, von den Gleisen. Sie haut ab, denn mit der „Bullerei“ will sie nichts zu tun haben. Die 15-jährige Jenny mit den auffälligen roten Haaren wohnt in einem Brennpunkt-Kiez und sie hat Toni, einen Freund aus vergangenen Tagen als einen der Schläger erkannt.
Lovis Verletzungen sind heftig, aber viel schlimmer sind die Demütigung und die Scham. Bereits als Fünfjähriger begann er, als seine Mutter ihn von einem Tag zum anderen verlassen hatte, zu stottern. Jetzt, durch den Schock, kann er wieder keinen klaren Satz formulieren. Die Vokale bereiten ihm die größten Schwierigkeiten.\r\n\r\nJenny hat ihren Schülerausweis auf dem Bahnsteig verloren und ein Helfer steckt ihn in Lovis Tasche. So finden die beiden zueinander, denn Lovis will sich unbedingt bei seiner Lebensretterin bedanken. Lovis erkennt schnell, dass er aus einer völlig anderen Welt stammt, er ist der Sohn eines gut verdienenden, ziemlich fordernden Vaters. Jenny übernimmt für ihr Alter viel zu viel Verantwortung. Sie kümmert sich um ihre Mutter, die zeitweilig unter Depressionen leidet und nie die Wohnung verlässt. Joe-Joe ist ihr kleiner Bruder, mit dem sie sich ein Zimmer teilt. Und dann sind da noch die Tiere aus der Nachbarschaft, um die sich die Mutter mehr als um ihre eigenen Kinder sorgt. Jammervoll ist der Ton den die Mutter gegenüber der Tochter anschlägt. Oftmals ist kein Essen im Haus und immer glaubt die Mutter, sie könne den Hauptgewinn abgreifen, wenn sie Kreuzworträtsel löst. Dabei fehlt die Zuzahlung vom Jobcenter für Jennys Klassenreise nach Rom. Heimlich spart sie jeden Cent für diese Fahrt, um wenigstens dort nicht ohne Geld dazustehen. Allerdings fragt die Mutter nie beim Jobcenter nach und klaut auch noch der Tochter das ersparte Geld, um sich irgendeinen Blödsinn zu kaufen. Jenny ist am Ende. Zum einen setzt ihr die Sache mit Lovis zu, zum anderen könnte sie in eine Mädchen-WG ziehen, um endlich in einem eigenen Zimmer in Ruhe für die Schule zu arbeiten.
Lovis und Jenny kommen sich nahe. Doch Lovis beobachtet wie sich Jenny sehr vertraut mit Toni unterhält. Er, der eigentlich früher ein ganz netter Typ war, zieht sogar Joe-Joe in seine kleinkriminellen Machenschaften hinein.
Jenny weiß nicht ein noch aus, ihre Gefühle fahren Achterbahn. Sie kann Toni kein Alibi für den besagten Sonntagabend gegen und sie kann aber auch Lovis nicht sagen, dass sie eigentlich die Zeugin ist, die seine Peiniger der Polizei ausliefern könnte.
Ein unlösbarer Konflikt.
Brigitte Glaser hat einen lebensnahen, konfliktreichen Jugendroman geschrieben, der von der ersten Seite an fesselt. Realistisch und wechselseitig schildert die Kölner Autorin aus der Sicht ihrer Hauptfiguren Jenny und Lovis die unterschiedlichen Milieus, in denen sich die Protagonisten bewegen.
Jenny und Lovis sind ein gegensätzliches Paar, fühlen sich aber doch zueinander hingezogen. Ihre Umwelt jedoch verklickert ihnen ziemlich schnell und ungefragt, was man so voneinander denkt. Jenny mit ihrem alten Hund im Schlepptau und in den abgerissenen Klamotten kann ja nur eine Diebin und Gangsterbraut sein. Lovis aus dem noblen Viertel hat alles, was soll er mit der „Billig-Schlampe“?
Über die Figurensprache hätte die Autorin ihre Protagonisten besser voneinander absetzen können. Diese Geschichte führt nicht zu dem erwarteten Happy End und der Überführung der Schläger. Hier bewegt sich Brigitte Glaser in der realen Wirklichkeit ihrer Hauptfigur Jenny. Sie weiß, dass die Schläger sich auf irgendeine Weise an ihr oder ihrer Familie rächen würden. Ein ernüchterndes Ende.
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