Jovana Reisinger: Spitzenreiterinnen, Verbrecher Verlag, Berlin 2021, 257 Seiten, €20,00, 978-3-95732-472-6
„Denn vom Allerwichtigsten, der Familie bestehend aus Vati, Mutti, Kinder, das weiß Laura, ist Verena noch sehr weit entfernt, und so schnell kann sie ihren Vorsprung nicht einholen. Ein Prickeln geht durch ihren Körper. Das hat sich ja fast schon angefühlt wie ein kleiner Orgasmus. Laura kann es kaum erwarten. Die schönste Freude ist die Vorfreude. Und die Schadenfreude auch.“
Sie heißen Laura, Brigitte, Paula, Emma, Lisa, Petra, Tina, Barbara oder Jolie – Frauennamen, die auf Zeitschriften prangen, je nach Zielgruppe und Alter. Immer mehr verdrängt in die Welt des Internets spiegeln diese die Problemzonen der modernen Mädchen und Frauen. Die unterschiedlichsten Themen werden gerade zwischen Kosmetik und Mode in bunten Illustrierten gesetzt. Es geht um die ideale Hochzeit, die beste Zeit, um Kinder in die Welt zu setzen, das richtige Trennungsverhalten, Einsamkeit im Alter, das glückliche Alleinsein ohne Mann, aber vielleicht mit Hund, Schönheitschirurgie, Datingportale, Eifersucht zwischen Freundinnen, ein Leben ohne Kinder, aber mit hoffentlich viel Geld, es geht um Fitness, Sex und schöne Haare, häusliche Gewalt und hohle Phrasen.
Jovana Reisinger greift all diese zwischenmenschlichen Schwächen, wie gesellschaftlichen Erwartungen auf. Sie gibt ihren Heldinnen die Namen der Frauenzeitschriften und zieht die Geschichten in Alltagssprache ihrer literarischen Figuren immer wieder unterbrochen mit entsprechendem Biss, Witz und eine gehörigen Portion Tragik bis zum bitteren Ende durch. Gängige Klischees dürfen nicht fehlen und vor allem nicht die Männer, die nie mit vollem Namen genannt werden und in keinem guten Licht erscheinen.
Da ist das immer tief stapelnde Arbeiterkind mit Topausbildung, dass in einer Galerie als Assistentin in München tatsächlich nur eine Aufsichtskraft ist und Kaffee kochen darf.
Da ist die Frau, die unter Angstzuständen leidet und die Stimme ihres toten Mannes hört und sich einen Hund anschafft.
Und da ist die vierundvierzigjährige Lisa, die genau am Valentinstag eine Fehlgeburt erleidet, von ihrem Freund verlassen wird ( der nach sieben Jahren auch noch seine Geschenke mitnimmt, da Lisa diese ja nicht verdient hat ) und in einem Edelrestaurant austickt.
Tina, Mutter zweier Kinder, erlebt permanente häusliche Gewalt durch den völlig überforderten A.. Wann ist der Punkt erreicht, an dem sie um ihr Leben fürchtet und sich nicht mehr seine Entschuldigungen anhört und endlich handelt?
Endlich wird Laura im Kleinstadtidyll in den Hafen der Ehe einfahren. Dafür jedoch muss sie so einiges Tun, um den Erwartungen des Ehemannes standzuhalten. Der Körper, nicht der Geist, müssen gestählt werden mit Trinkkollagen und baldigen Schönheitsoperationen. Wie kann er es da wagen, mit einem Ehevertrag ihre mühsame Instandhaltung des Körpers zu sabotieren?
Die Frauen kämpfen mit den Rollenzwängen der Gesellschaft und machen sich doch oft selbst zu einer Karikatur ihrer selbst. Nach dem Motte: Wer nicht genug in Kosmetik investiert, hat selber schuld. Die Zeitschriftenidylle erzählt nichts von illoyalen Schwiegermüttern oder gar glücklichlosen Bilderbuchfamilien. Hart ist das Urteil der Stimme, die über die Frauen und ihre Schicksale emotionslos herzieht. Denn wo ist der hart erkämpfte Feminismus, der erfolgreiche Kampf gegen den Sexismus, der die Frauen endlich in die Mitte der Gesellschaft neben den Mann stellt? Ja, wo?