Du musst die Wahrheit sagen

Mats Wahl

Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch, Carl Hanser Verlag, München 2011, 233 Seiten, â�¬13,90

â�� Es klingt vielleicht komisch, aber ich hatte das Gefühl,als wäre die Schlange mein einziger Freund.â��

Der fast 15-jährige, schlaksige Tom Eriksson zieht wiedermal mit seiner Familie, der Mutter, den Halbgeschwistern Annie und Morgan, um. Diesmal jedoch hat der Umzug nichts mit den zahlreichen Affären der Mutter zu tun, diesmal ist der neue Wohnort das Haus der verstorbenen GroÃ�mutter. Tom, aus dessen Perspektive der Leser die Geschichte erfährt, leidet unter dem sportbesessenen und ziemlich beschränkten Halbbruder Morgan, der nur mit Kraftausdrücken um sich werfen kann und darauf aus ist, Tom zu demütigen. Die Mutter ist zur Zeit mit ihrem Frisörsalon beschäftigt und Dick, einem Polizisten, dem sie kurz nach dem Ortswechsel begegnet. Als Tom den alten Nachbarn, Karl Berger, kennenlernt, beginnen die Konflikte, die Tom immer mehr zwischen alle Fronten geraten lassen. Berger behauptet, er sei der Vater von Toms Mutter, die nie wusste, wer ihr Vater wirklich ist. Sie jedoch würde nie mit ihm sprechen und so soll Tom den Kontakt herstellen. Aber der Junge fühlt sich im Haus der Mutter eher wie ein Fremder. â�� Ich hatte wie üblich das Gefühl als würde es mich gar nicht geben.â�� Nach und nach erkennt Tom aber, dass der Alte von nebenan nicht rumspinnt, sondern die Wahrheit sagt. Toms Mutter ist mehr als überrascht und lehnt ein Gespräch ab. Jeder lebt bei den Erikssons am anderen vorbei, es herrscht eine Distanz, die weh tut. Die Mutter kennt ihre Kinder nicht und Tom weiÃ� nun um die Auseinandersetzungen zwischen der GroÃ�mutter und der Mutter, die über lange Zeit wenig Kontakt hatten. Auch Tom kennt seinen Vater nicht, Morgan verreist einmal im Jahr mit seinem Erzeuger und Annie hat wenig Kontakt zu ihrem Vater. Berger und Tom werden immer vertrauter und irgendwann holt der Alte, der im 2. Weltkrieg als deutscher Pilot über Norwegen abgeschossen wurde, ein Gewehr aus dem Schrank. Er hat es gegen die Katzen eingesetzt, die die Vogelnester ausrauben. Tom jedenfalls nimmt es irgendwann an sich und versteckt es im Haus.

Als Tom ans neue Gymnasium kommt, dreht sich die Spirale der Gewalt und Gleichgültigkeit weiter. Innerhalb der Klasse herrscht ein rüder Ton. Patrick, der nur friedfertig zeichnet, wird von den anderen einfach so geschlagen. Die Lehrer schauen weg. Tom fühlt sich unwohl, würde am liebsten trotz guter Noten, wieder nur schwänzen wie in der alten Schule. Wieder wird Patrick gedemütigt und wieder schauen alle weg. Tom kann nicht mehr an sich halten und greift den Schläger an. Da Tubal dunkelhäutig ist und William, der als Nazi in der Schule bekannt ist, ihn anfeuert, gilt Tom fortan als Rassist. Wieder sitzt Tom zwischen allen Stühlen. Wie sehr hatte er gegen Williams Anbiederungsversuche Stand gehalten und nun hat sich Patrick auf die Seite des starken Nazis gestellt. Aber die Probleme für Tom sind noch nicht ausgestanden. Dick, der neue Liebhaber der Mutter, hat sich an Annie herangemacht und Tom wird Zeuge einer sich anbahnenden Vergewaltigung. Er holt das versteckte Gewehr.

Nach den Romanen über Harald Fors als Kriminalkommissar hat Mats Wahl wieder einen realistischen Roman über die unendliche Kompliziertheit der Jugend, die Traumatisierung durch zerbrochene Elternhäuser, die Entwurzelung in mobilen Lebensläufen und über die Kälte schulischer Systeme geschrieben. Oberflächlich erzählt sich die Geschichte schnell und doch spürt der Leser, dass er viel mehr über die Psyche des friedfertigen Tom weiÃ� als er selbst. Sukzessiv führt der schwedische Autor Mats Wahl die Handlung auf den katastrophalen Ausbruch des Jugendlichen hin.

Tom ist der Sympathieträger und er löst sich aus der Opferrolle und übernimmt Verantwortung für einen anderen Mitschüler und seine Schwester. Seine sich langsam anstauende Wut kann Tom nicht kanalisieren und wird zum Täter. Aber Mats Wahl muss nicht ins Spektakuläre schweifen, um Spannung aufzubauen. Seine Hauptfigur, die selber ständig einstecken muss, zuverlässig ist, nicht gleichgültig, einen guten Charakter zu haben scheint, wird von anderen zum Ã�uÃ�ersten getrieben.

Ein Jugendbuch, dass unter die Haut geht und zu Diskussionen auffordert.