MIT BLICK AUFS MEER

Elizabeth Strout: Mit Blick aufs Meer, Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth, Luchterhand Literaturverlag, München 2010, 352 Seiten, �19,95

� Die wenigsten Menschen wussten, was sie am Leben hatten, solange sie es noch leben durften.�

Im kleinen Ort Crosby, Maine an der nördlichsten US-Ostküste leben Menschen wie du und ich. Sie ertragen ihren Alltag, durchleben Ungewöhnliches und bleiben doch auf dem Boden der Tatsachen. Wie ein roter Faden schlängelt sich durch die episodenhafte Handlung und die Jahre das Schicksal von Olive und Henry Kitteridge bis zu ihrer Pensonierung und seinem Tod. Sie ist eine spontan handelnde, oftmals taktlos ehrliche, wie poltrige aber auch in bestimmten Momenten feinfühlige Matrone und Mathelehrerin, er ein hilfsbereiter, die Ruhe liebende Apotheker. Beider Sohn Christopher scheint unter der Last der Mutter zu zerbrechen, flieht in erster Ehe aus dem von den Eltern geschaffenen Nest ans andere Ende von Amerika, um nach nicht mal einem Jahr und einer gescheiterten Ehe in New ork zu landen. Olive sorgt sich in manchen Szenen mehr um ihre Tulpenzwiebeln als um die Menschen, die um sie herum sind. Dabei liebt Henry sie mehr als sie ihn. Tragikomisch sind die Auftritte von Olive, die sich in einen anderen Mann verliebt und er in sie, ihn aber durch einen Unfall verliert. Henrys Fürsorge um eine junge frisch verheiratete Frau, die in seiner Apotheke arbeitet, kommentiert Olive nur abwertend. In anderen Kapiteln dreht sich alles um Krankheiten, Affären, Verbrechen, Alkoholsucht oder Tod und um Familien, in denen alles auseinanderbricht. So haben Harmons vier Jungen nachdem sie erwachsen wurden die Familie verlassen. Er wünscht sich sehnlichst Enkelkinder zum Verwöhnen und seine Frau Bonny beginnt für sich ein neues aktives Leben und verachtet ihren Mann für seine gluckenhafte Art. Sie erklärt ihm, dass sie mit dem Sex abgeschlossen hat und er sucht sich eine Geliebte, die eigentlich auch nur Freundschaft möchte.

Elizabeth Strout, Jahrgang 1956, erzählt berührend und genau von den alltäglichen Ereignissen in einem überschaubaren Ort und den Schicksalen im Kleinen, die das Gro�e spiegeln. Im Original hei�t der Titel �Olive Kitteridge�. Das klingt aufschlussreicher als der leicht romantische und in die Irre führende deutsche Titel �Mit Blick aufs Meer�. Trotzdem: Eine fesselnde, berührende und sehr empfehlenswerte Lektüre für alle, die wirklichkeitsnahe Geschichten lieben.