DIE VIER LEBEN DER MARTA FEUCHTWANGER

Manfred Flügge: Die vier Leben der Marta Feuchtwanger, Aufbau Verlag, Berlin 2010, TB, 431 Seiten, €12,95

„ Auf alles zugehen, hindurchgehen, weitergehen – das war ihre Methode, ihre Form der Freiheit. Sie überwand alles, den Verlust eines Kindes, zwei Kriege, Exil, Flucht und selbst Lions Affären.“

Kopfsprünge liebte Marta Feuchtwanger und ihren unabhängigen jährlichen Skiurlaub, sie fuhr rasant Auto und kleidete sich gern exotisch, in den letzen Jahrzehnten im chinesischen, schimmernden Stil. Sie war ein auffällige Frau, auch wenn das nicht alle gesehen haben und sie überragte ihren berühmter Mann Lion um ein paar Zentimeter. Sie hat seine Manuskripte gelesen und ihn bei einzelnen Figurenkonstellationen in seinen Romanen beraten, sie hat ihm nicht nur einmal das Leben gerettet und seine Häuser eingerichtet, die er als Schreib- und Rückzugsorte benötigte. „Nur eine Frau“ heißt ihr Erinnerungsbuch aus dem Jahr 1983. Der Titel bezieht sich auf eine Äußerung von Marcel Reich-Ranicki. Sie war nur die Ehefrau und doch auch mehr. Ihre eigenen Schreibversuche an einem historischen Roman hat sie schnell wieder gelassen und sich den Werken ihres Mannes zugewandt. Als sie 1912 Feuchtwanger heiratet, sie war schwanger, ahnte niemand, dass der spielsüchtige Luftikus mit seinen Romanen einmal auch zu materiellem Wohlstand und gesellschaftlicher Anerkennung gelangen würde. Lion war eine zwiespältige Person. Von Beginn ihrer Ehe an suchte Feuchtwanger auch andere Frauen auf, oft die Lebensgefährtinnen seiner Schriftstellerfreunde, aber auch Huren. Marta schien damit klarzukommen, auch wenn sie ab und zu, wie Lion das nannte, „stringbergelte“, doch ärgerlich war. Gesellschaftliche Anerkennung in Berlin oder später im Exil, im legendenumwobene Sanary-sur-Mer, genoß sie nur an der Seite ihres Mannes. Manfred Flügge spekuliert nicht über Martas Gefühle, ihr Innenleben. Er zieht nur Rückschlüsse, wenn er wirklich seine Ansichten belegen kann. Alle verfügbaren Quellen hat der Biograph zu Rate gezogen und vor allem das unveröffentlichte Tagebuch Lion Feuchtwangers, das hier zum ersten Mal in vollem Umfang genutzt werden konnte. Hier spricht in abgehakten Gedankenfetzen ein zügelloser Mann, der seine sexuellen Erlebnisse und Eskapaden gern schriftlich festhielt, mehr statistisch als reflektierend. Sicher über Lion Feuchtwanger, Bert Brecht oder andere bekannte Künstler ist mehr zu sagen als über die Frauen an ihrer Seite. Die Anhäufung der berühmten Namen, die ihm Hause Feuchtwanger, ob in Frankreich oder Deutschland ein- und ausgegangen sind, liest sich bedeutend, sagt aber nicht viel über die Frau des Hauses aus. Nach der entbehrungsreichen Zeit in Internierungslager nach 1939 und Martas heftigem Einsatz für Lion und auch andere Menschen, erreichen die beiden den sicheren Boden der USA. Hier beginnt wieder die Suche nach einem Haus, einem Zuhause. Marta übernimmt all die praktischen Arbeiten, die der weltfremde und eher auf seine Frauengeschichten orientierte Autor nicht leisten will und kann. Er lässt ihr die Freiräume, die sie benötigt und er nimmt sich seine. So konnten beide eine offene Ehe führen, obwohl Martas Verhältnisse, wenn es sie denn gab, nie öffentlich wurden. Gut 30 Jahre hat Marta Feuchtwanger ihren Mann überlebt und ihr Leben in den Dienst seines Andenkens gestellt. Gestorben ist sie mit 96 Jahren, anerkannt und mit vielen Ehren ausgezeichnet.

Manfred Flügges Lebensabriss der Marta Feuchtwanger liest sich unterhaltsam, ehrlich und vor allem sehr informativ, denn er grundiert seinen Text mit vielen Erläuterungen, die zum zeitgeschichtlichen Verständnis beitragen.