Jeder professionelle Rezensent erhält im Frühjahr und Herbst ganze Berge von Neuerscheinungen. Nur ein geringer Bruchteil der aktuellen Bücher wird in Zeitschriften oder Rundfunksendungen besprochen.
Im Laufe der Zeit hat sich gerade im Kinder- und Jugendbuchbereich der Anteil an rezensierten Titeln verkleinert und Kritik ist kaum gefragt.
In dieser Website soll eine Auswahl an aktuellen Büchern präsentiert werden, die der Rezensentin Karin Hahn positiv oder negativ aufgefallen sind.
Karin Hahn ist Mitglied in der Jury "Die Besten 7 – Bücher für junge Leser“. Das ist eine Bestenliste für Kinder – und Jugendliteratur, die monatlich im Auftrag vom Deutschlandfunk und Focus zusammengestellt wird.
Sie arbeitet als Journalistin für die Sender Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk, schreibt für die Leipziger Volkszeitung, die Fachzeitschrift BuchMarkt und rezensiert Kinder- und Jugendbücher, Hörbücher und Kinofilme. Als Produzentin und Regisseurin war sie an der Veröffentlichung der Hörspiele "Alice im Wunderland" und "Der Wind in den Weiden" beteiligt. Karin Hahn ist verheiratet, hat einen Sohn und wohnt in Berlin.
Charlie und die Schokoladenfabrik
Film "Charlie und die Schokoladenfabrik"Roald Dahl: Charlie und die Schokoladenfabrik, Das Buch zum Film, Rowohlt Taschenbuch.
Neben so vielen Erfolgen wie "Planet der Affen", "Edward mit den Scherenhaenden", der genialen Parodie "Mars Attacks!", verfilmte Tim Burton auch 1996 "James und der Riesenpfirsich" nach einem Kinderbuch von Roald Dahl. Jetzt hat er die skurrile, zeitlose Geschichte des erfolgreichen englischen Autors " Charlie und die Schokoladenfabrik", 1964 erstmals veroeffentlicht, kongenial in einen aufwendigen knallbunten, phantasie- und trickreichen Spielfilm umgesetzt. Mehrere Szenenfotos sind im Buch zum Film abgebildet, aber auch die unverkennbaren Zeichnungen von Quentin Blake. Die Geschichte des lebensfrohen aber armen Charlie Bucket, der die geheimnisvolle Schokoladenfabrik des reichen, seltsamen Willy Wonka ( exentrisch und doch kontrolliert gespielt von Johnny Depp ) gemeinsam mit vier weiteren Kindern besichtigen kann, wird temporeich und mit viel Situationskomik erzaehlt. Willy Wonka wird im Film als ueberspannter , sehr verrueckter Einzelgaenger dargestellt, im Buch ist er das zwar auch, kommt aber doch freundlicher taenzelnd und aufmerksamer daher. So ueberwiegen in der Dahlschen Geschichte auch die maerchenhaften Elemente und vor allem erstaunen die zahlreichen, verspielten Erfindungen des einsamen Wonka: Erdbeersaft-Pistolen, Limonade fuer Schwimmbecken, Toffee-Baeume fuer den eigenen Garten, Zungenleim fuer geschwaetzige Eltern oder essbare Kopfkissen aus Zuckerwatte. Verblueffend ist, wie treffsicher und heute noch aktuell Roald Dahl bereits vor gut 40 Jahren die Schwaechen der erziehungsgeplagten Eltern charakterisiert hat. Den Kindern werden keine Grenzen gesetzt und somit ueberfressen sie sich, schauen zuviel in die Glotze, entwickeln einen falschen Ehrgeiz, sind ueberheblich und setzen ihren Willen gnadenlos durch. Entstanden sind Figuren, die einem irgendwie bekannt vorkommen: der dicke, gierige Dummling, die ehrgeizige, ruecksichtslose, duenne Karrieristin, die verwoehnte, geistlose Egoistin und der ueberhebliche, abgeklaerte Technikfreak. Tim Burton karikiert zeitbezogen gerade diesen Part in der filmischen Umsetzung meisterhaft. Die unsympathischen Kinder sorgen dafuer, dass Charlie mit seinem unbefangenen, offenen Blick auf die Umwelt der absolute Sympathietraeger bleibt und zu Recht der Erbe des Schokoladenimperiums wird. Weiterhin beleuchtet der Film die Kindheit des Willy Wonka, nimmt Dahls schwarze Komik auf und erfindet fuer den Jungen einen strengen Zahnarztvater, der jegliche Suessigkeiten verdammt - eine moegliche Erklaerung fuer Wonkas Fixierung auf alles Suesse von hoher Qualitaet. Bitterkomisch ist die Idee, und da sind Tim Burton und Roald Dahl Seelenverwandte, dass sich Wonkas steifer Papa samt Reihenhaus, eine entsprechende Haeuserluecke bleibt zurueck, aus dem Staub macht und seinen ungehorsamen Sohn zurueck laesst. Deep Roy spielt die kleinwuechsigen Umpa-Lumpas, die so versessen auf Kakaobohnen sind und in Willy Wonkas Fabrik saemtliche Arbeiten uebernommen haben, mit Hingabe." Die Zuschauer werden glauben, all das sei im Computer entstanden", sagte Roy in einem Interview. " Aber so war es nicht. Wenn wir 20 Umpas im Bild sehen, habe ich alle 20 selbst gespielt."
Nach diesem wunderbar komischen Filmerlebnis fuer die ganze Familie entsteht auf jeden Fall eine ungeheure Lust auf gute Schokolade und das Buch von Roald Dahl.
Zu empfehlen waere noch " Charlie und der grosse glaeserne Fahrstuhl". Wieder geht es um den Jungen Charlie und Willy Wonkas groesste Erfindung, den glaesernen Fahrstuhl, der in alle moeglichen Himmelsrichtungen und sogar ins All fliegen kann.