Chicken Dance

Jacques Couvillon

Aus dem Amerikanischen von André Mumot, Bloomsbury Kinderbücher & Jugendbücher, Berlin 2011, 332 Seiten, �16,90

�Meine Eltern waren auch echte Menschen, aber sie hatten nie wirklich mit mir gesprochen, und nach dem Ausflug nach New Orleans sprachen sie sogar noch weniger.�

Don Schmidt, der eigentlich Stanley hei�t, lebt mit seinen Eltern auf einer Hühnerfarm in Horse Island. Eine Erbschaft und finanzielle Engpässe binden die drei an diesen Ort, den die Mutter so abgrundtief hasst. Doch Don, der auch der Erzähler dieser ungewöhnlichen Geschichte ist, mag die Hühner, um die er sich unbedingt kümmern möchte. Nach seinem 12. Geburtstag, den die Eltern ohne gro�es Bedauern vergessen, ist das sein einziges Glück. Voller Eifer stürzt sich Don ins Leben seiner Hühner und lernt alles über diese Vögel, die nicht richtig fliegen können. Immer wieder hört Don aus Gesprächen der Eltern heraus, dass in der Vergangenheit etwas passiert sein muss. Dawn, Dons Schwester, ist mit 15 Jahren an Scharlach verstorben. Sie war eine begnadete Tänzerin, behauptet die Mutter und Don muss, er hat gar keine Wahl, in ihre Fu�stapfen treten. Don ist, obwohl er bereits mehrere Jahre in Horse Island lebt, für die Kinder immer noch �der Neue�. Er hat keine Freunde und Leon, sein Mitschüler, ärgert ihn, wo er nur kann. Doch für Don soll sich alles ändern als er den Hühner-Wissens-Wettbewerb als jüngster Teilnehmer gewinnt. Ohne Mitgefühl oder einen Gedanken an ihren Sohn lebt die engstirnige Mutter in den Tag. Sie streitet sich pausenlos mit dem Vater und erwartet, dass alle zu ihrer Verfügung stehen. Dons Mitteilung, dass er den Wettbewerb gewonnen hat, nimmt sie erst zur Kenntnis als sie bemerkt, welches Kapital sie aus dem Gewinn ihres Sohnes schlagen kann. Nun wollen alle Eier von Dons Hühnern und das Geschäft floriert. Und Don wird endlich von seinen Mitschülern, auch Leon, wahrgenommen. Don ist immer hin- und hergerissen. Auf der einen Seite liebt er seine Eltern, aber auf der anderen Seite leidet er unter ihrer emotionslosen Art, ihrem Desinteresse und ihrem Schweigen. Als Don seine Geburtsurkunde sucht, glaubt er, er habe einen Zwillingsbruder namens Stanley, der entführt wurde. Stanley wird zum stummen Partner für Don. Mit ihm und mit seinen Hühnern unterhält sich der einsame Junge, dessen Eltern ihn nur ignorieren. Doch nicht Stanley ist verschwunden, sondern Dawn. Als Don seine Eltern belauscht, wird ihm klar, dass er eine 27-jährige Schwester hat, die in New Orleans arbeitet. Aber auch das ist nicht die Wahrheit. Innerhalb eines Jahres wird Dons Leben völlig auf den Kopf gestellt und nichts wird mehr so wie es einmal war.

Don ist die liebenswürdigste und mitfühlendste Jungenfigur seit langem im Kinderbuch. Er erträgt seine unsensiblen Eltern, die dümmliche Mutter und den schwachen Vater, der vieles ändern möchte und nicht kann. Und er ist ein Freund. Ohne zu zögern hilft er Leon, dessen Vater ihn in der �ffentlichkeit vor Don ohne nachzudenken demütigt, zu einem Preis, den eigentlich er verdient hätte. Und Don sucht seine Schwester, die offensichtlich mit den Eltern nichts zu tun haben möchte. Atmosphärisch dich fängt Jacques Couvillon die Zeit der 1970er Jahre ein, u.a. mit dem als Fortschritt angepriesenen TV-Dinner vor dem Fernseher. Geschickt und unsentimental hält der kanadische Autor in seinem Debüt der angeblichen Allmacht der Erwachsenen den Spiegel vor und erzählt von einem einsamen Kind, dass hinter die Familiengeheimnisse gelangt und daran nicht zerbricht. Don sucht sich seinen eigenen Weg und wählt nicht den leichten, denn er hat Mitgefühl, nicht nur mit seinen Hühnern, die keine Eier mehr legen können, sondern auch mit einer aufgeblasenen, von der Realität enttäuschten Mutter ( die gar nicht seine Mutter ist ), die mit ihren Schwächen eher ihre Umgebung abstö�t als liebenswert erscheint. Don kann sich darüber hinwegsetzen, denn er wei�, sie braucht ihn.