IN CHINA ESSEN SIE DEN MOND

Miriam Collée: In China essen sie den Mond – Ein Jahr in Shanghai, Kiepenheuer, Aufbau Verlag, Berlin 2009, 267 Seiten, €16,95

Miriam Collée verlässt ihr trautes Heim im beschaulichen Hamburg - vielleicht gibt es ja doch noch ein Abenteuer in diesem Leben - und geht mit Mann und dreijährigem Kind ins ferne China, in einen fremden Kulturkreis, in ein Land, dessen Sprache sie weder lesen noch sprechen kann. Aber sie landet ja nicht in der Pampa, sondern in einer weltgewandten Großstadt, in Shanghai. Ja, Pustekuchen. Alles beginnt katastrophal und soll auch so bleiben, denn das Leben in der Metropole ist für Fremde offenbar mehr als schwierig. Allerdings lebt die Autorin in privilegierten Verhältnissen, was ihr allerdings erst später bewusst wird. Ziemlich lang benötigt Miriam Collée, um sich von ihren mitteleuropäischen Ansprüchen zu verabschieden und die Mechanismen im Zusammenleben der Chinesen zu verstehen. Zu Beginn scheitert sie auf der ganzen Linie. Das liest sich amüsant, denn Miriam Collée scheut sich nicht davor, sich selbst und ihr scheuklappenähnliches Verhalten auf die Schippe zu nehmen. Sie ironisiert vieles, auch wenn man ihren angestauten Ärger beim Lesen immer noch zu spüren scheint. Handwerker sind unqualifizierte Wanderarbeiter, die keine Ahnung haben und eher zerstören als dass sie helfen, sie läuft gegen Mauern des Unverständnisses und der Ignoranz, ist enttäuscht über aufgebaute Beziehungen, die von chinesischer Seite mit einer Lüge beendet werden und sie findet keinen Anschluss bei Landsleuten, rackert ziemlich allein vor sich und versucht sich zu arrangieren und versagt trotzdem. In ihrer angestauten Wut rutschen bei aller Authentizität auch verallgemeinernde Äußerungen über die Chinesen in den Text, die ein besonnener Lektor vielleicht entfernt hätte.

Viele Szenen spiegeln aber auch ganz allgemein den Eindruck vom heutigen China wider – die Manie reich zu werden, den Druck auf die Kinder, den verklärten Blick in Richtung USA ( erschütternd der Blog einer jungen chinesischen Studentin, die sich ihr Leben mit einem reichen, europäischen oder wenn es sein muss japanischen Mann wie in der amerikanischen Serie „Desperates Housewives“ vorstellt) und die Angst im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs zu kurz zu kommen.

China, das Gastland auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, deckt für die Generationen nach 1989 ein Tuch über die Vergangenheit. Alle schauen angestrengt in die Zukunft und wie ein stillschweigender Gesellschaftsvertrag tauschen sie gern Wohlstand gegen politische Freiheit.

Miriam Collée hat einen sehr persönlichen Tatsachenbericht geschrieben und mit diesem Wissen im Hinterkopf sollte man dieses Buch auch lesen.