SOMMER MIT EMMA

Borger & Straub: Sommer mit Emma

Diogenes Verlag, Zürich 2009, 416 Seiten, Leinen, €21,90

„Emma wird echt bevorzugt behandelt, bei jeder Gelegenheit. Wieso haut das Miststück trotzdem alle in die Pfanne. Er würd's echt gern wissen.“

Sommerferien auf einem Hausboot in England und hochgespannte Erwartungen an den wohl letzten Urlaub mit den heranwachsenden Kindern thematisieren das Autorenduo Borger & Straub in ihrem neuen Roman. Alles ist etwas zu teuer für die Münchner Familie und einfach übertrieben, aber was soll's. Diese zwei Wochen müssen einfach zur Entspannung dienen und zum Kitten der angeknacksten Beziehung zwischen den Eltern Daniel und Luisa, die sich bald 20 Jahre kennen. Sie verdient durch ihre Praxis als Physiotherapeutin den Unterhalt der Familie. Er ist Künstler und auf bestem Weg, einen stadtbekannten Galeristen für ein neues Projekt zu interessieren. Als die beiden sich kennenlernten, war er künstlerisch angesagt, doch nicht lang. Über die Jahre hat sich trotz aller Vertrautheit eine gewisse Ferne und Anspannung zwischen den beiden eingeschlichen, denn immer geht es um's Geld, von dem meistens zu wenig da ist. Die beiden Autorinnen Borger & Straub erzählen aus allen Figurenperspektiven ( außer aus Emmas) und vermitteln dem Leser so psychologisch tiefe Einblicke in die Erwartungen und Vorstellungen ihrer Protagonisten von diesem Urlaub und dem internen Familiengeschehen. Mal kommt die ruhige Tochter Lea, 14, zu Wort, die in ihrem Tagebuch ihre Beobachtungen festhält. Der rebellische Sohn Jasper, 17, macht gute Miene zum gemeinsamen Familienurlaub. Er durfte seinen türkischen Freund Can nach England einladen, denn Lea soll sich mit Emma gut verstehen. Emma ist Daniels fünfzehnjährige, bildschöne Tochter aus der Affäre mit Sophie, die nun aus Amerika nach ihrer Scheidung wieder zurück nach Köln geht. Daniel hat ein schlechtes Gewissen, denn außer Zahlungen, die von Luisas Konto abgebucht werden, verbindet ihn wenig mit dem Mädchen. Er hofft bei diesem Urlaub ihr näher zu kommen. Luisa will sich tolerant zeigen und durchschaut doch viel eher als ihr Schuld beladener Lebenspartner das falsche, intrigante Spiel seiner perfekten Tochter. Unterschwellig brodeln die Konflikte auf engstem Raum. Hier kann sich niemand aus dem Weg gehen. Diese Intensität erhöht die Spannungen, Erwartungen, Schuldgefühle, Eifersucht, tiefe Enttäuschungen und immer schon Unausgesprochenes. Perfide ausgeklügelte Gemeinheiten heizen die bereits gespannte Atmosphäre zwischen allen Beteiligten an. Die introvertierte Lea, die etwas rundlich ist, fühlt sich durch Emmas Anwesenheit verunsichert. Die Aufmerksamkeit einfordernde, taktlose Halbschwester spielt jeden gegen jeden aus, denn sie erschnüffelt alle Geheimnisse, die jeder auf diesem Schiff zu verbergen hofft. Sie lügt, kifft mit dem Jungen und liest ihnen aus Leas Tagebuch vor. Sie versucht Can zu verführen, der damit klar kommen muss, dass er seine Mitschülerin Nathalie geschwängert hat, in die Jasper so verliebt ist. Can empfindet nicht mehr die enge Jungenfreundschaft zu Jasper, der keine Zwischentöne hören kann, sondern nur rummotzt. Jasper will nur ausbrechen und weit fort von der Familie sein, benimmt sich aber in vielem noch kindisch und pupertär. Die gestresste Luisa, die sich eigentlich erholen will, ist so fixiert auf die Kinder, dass in ihrer Gegenwart niemand frei atmen kann. Insgeheim trauert sie einem Kollegen nach, den sie mit ihrer peinlichen Zuneigung verjagt hat. Ein Konflikt löst den nächsten ab. Daniel und Luisa können ihren Problemen nicht mehr aus dem Weg gehen und die zutiefst einsame und beziehungsunfähige Emma umschmeichelt den Vater, um ihn gegen seine Frau auszuspielen.

Eine Eskalation der Ereignisse, die bedrohlich auf ein Drama zusteuern, bahnt sich unter der heißen Sonne Englands immer mehr an. Das Ende ist ernüchternd und tragisch.

Borger & Straub kennen sich aus in den Abgründen und Untiefen der menschlichen Seele und sie entwickeln lebensnahe Figuren, die man zu kennen scheint. Sie erzählen so spannend, dass man glaubt, man schaue jeder Person über die Schulter. Psychologisch genau durchblickt man die Konflikte in den Figurenkonstellationen und würde doch im wahren Leben in genau die gleichen Fallen hineintappen, in die alle durch die ausgekochte und so bedürftige Emma geraten.

Ein Geschichte mit einem unerwarteten Finale, wie aus dem Leben, gnadenlos, genau beobachtet und unterhaltsam bis zur letzten Seite. Wen dieser Plot ergreift, der kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen.