MANN IM DUNKEL

Paul Auster: Mann im Dunkel, Aus dem Englischen von Werner Schmitz, Rowohlt Verlag, Reinbek 2008, 220 Seiten, €17,90

„ Und die wunderliche Welt dreht sich weiter.“

So heißt ein Zitat von Rose Hawthorne. Der Mann im Dunkel – August Brill – liest diesen Satz im Manuskript seiner Tochter Miriam. Zur Zeit lebt der 72-Jährige bei ihr in Vermont, denn durch einen Unfall ist er bewegungsunfähig. Brill war Literaturkritiker , viele Stoffe, eigene Geschichten, Filmplots schwirren in seinem Kopf herum. Miriams Tochter Katya lebt ebenfalls im Haus der Mutter. Sie trauert um ihren toten Freund Titus, der im Irak auf grausige Weise ermordet wurde und sie fühlt sich schuldig, denn sie hatte ihn verlassen. Großvater und Enkeltochter überbrücken Schlaflosigkeit und innere Leere durch Filme, denn eins will Brill auf gar keinen Fall, sich erinnern, weder an seine verstorbene Frau Sonia, noch an vergangene Jahre. August Brill denkt sich nun eigene Geschichten aus, die mit der Realität spielt und diese auf den Kopf stellt. Paul Auster sagte in einem Interview: „Ein Grund dafür, dass sich Brill diese Parallelwelt ausdenkt, ist die Tatsache, dass 2000 Al Gore zum Präsidenten gewählt wurde. Und mit Hilfe einiger Manöver haben die Republikaner ihm den Wahlsieg gestohlen. Für mich war das einer der skandalösesten Momente in der amerikanischen Geschichte. Und seitdem kommt es mir vor, als würden wir in einer Parallelwelt leben, als hätten wir die Wirklichkeit verlassen.“

In seiner Parallelgeschichte landet die ausgedachte Figur Owen Brick durch eine Röhre in der Gegenwart und stellt fest, dass der Krieg mitten in Amerika angekommen ist. Seit dem Jahr 2000 ist Amerika durch Sezessionskriege zerrissen. Die Föderalisten unter dem Präsidenten George W. Bush kämpfen gegen die Staaten im Nordosten und am Pazifik. Vieles erinnert an den Bürgerkrieg von 1861 bis 1865, denn es herrschen Hunger und Zerstörung. Brick, der als Unterhaltungsclown auf Partys auftritt und mit seiner brasilianischen Ehefrau Flora glücklich lebt, begegnet auf seinem unsicheren Weg den Versuchungen der Liebe, muss sinnlose Gewalt ertragen und das Gefühl der Ausweglosigkeit. Um sein eigenes Leben zu schützen, soll er einen gewissen August Brill, den Verursacher des Krieges, töten. Geschickt setzt der Autor seine fiktive Figur auf sich selbst an. In dem Moment, wo sich beide Erzählebenen begegnen, löst sich die Spannung und eine weitere Erzählperspektive eröffnet sich. Eine Geschichte verschachtelt sich in der nächsten. August Brill hält sich mit diesen Teils wahren, Teils erfundenen Geschichten über Wasser, Geschichten, die rührselig sind, aber auch grausam brutal und unglaublich schrecklich. Der Autor als Schöpfer der Welt, der literarische Figuren erschaffen und beseitigen darf, von diesem Spiel zwischen Realität und Fiktion lebt dieser äußerst spannende Roman von Paul Auster, der zwischen Familiengeschichte, Kriegsroman und Zufallsbegegnungen hin- und herpendelt. Am Ende erzählt Brill dann die wirklichen Geschichten und wagt es, seiner Enkelin von den wichtigsten Stationen in seinem Leben zu berichten. Beide stellen fest: Was auch immer geschieht, die wunderliche Welt dreht sich weiter.