Am Ende eines Sommers

Isabel Ashdown

Aus dem Englischen von Rainer Schmidt, Eichborn Verlag, Frankfurt a.M. 2010, 351 Seiten, �19,95

� Ich schluchze um meine Rachel, die mich in ihr Bett geholt hat, wenn ich von dem Ungeheuer in der Glühbirne geträumt habe.�

Mary und Rachel Murray wachsen sorglos und wohl behütet in Südengland auf. Die Geschwister trennen vier Jahre. Als Mary dann Billy Andrews, einen gewöhnlichen Schreiner, ihren Eltern vorstellt und die Mutter bemerkt, dass die Kunststudentin schwanger ist, bricht alles auseinander und trotz gro�er Nähe wendet sich auch Rachel von der Schwester ab. Nie wieder wird die Mutter mit ihrer Tochter ein Wort wechseln, jede Geburtstagskarte an den Vater bleibt unbeantwortet, bis die Mutter alle Post in einem kleinen Päckchen nach zehn Jahren ungeöffnet an die jüngste Tochter zurückschickt. Aber zu diesem Zeitpunkt ist Mary bereits eine gebrochene Frau, depressiv, manisch und Quartalsalkoholikerin. Waren gerade die 1970er Jahre die Aufbruchjahre für die junge Generation, so blieb, und das kann Mary nicht verwinden, ihr Leben im Unbedeutenden stecken. Sie hat alles für die Kinder und den gutmütigen Ehemann, zu dem sie sich jedoch mehr körperlich als geistig hingezogen fühlt, aufgegeben. Mit ihren Gemütsschwankungen und Eskapaden hat sie ihren ältesten Sohn Matthew und ihren Mann aus dem Haus gegrault. Billy bleibt in der Nähe möbliert wohnen, um sich um Jake und Andy, die beiden Söhne im Alter von 13 und 10 Jahren, an jedem Samstag für zwei Stunden zu kümmern. Erzählt wird der Roman aus zwei Perspektiven. Zeitversetzt und nicht chronologisch schildert Mary die Ereignisse aus ihrer Sicht von den Kindertagen in den 1960er Jahren bis in die Gegenwart, zum anderen aus dem Blickwinkel von Jake, dessen Berichte aus den Jahren 1984 und 1985 stammen.

Nach und nach setzt die Autorin wie in einem Puzzle die Leben der beiden Schwestern zusammen, denn auch Rachel hat sich über Jahre nicht mehr bei Mary gemeldet. Als dann ihr Mann Robert stirbt, scheint sie ihre Meinung zu ändern und lädt die Familie ihrer Schwester zu Weihnachten 1984 zu sich nach Isle of Wight ein. Rachels Sohn Georg ist am gleichen Tag geboren wie Jake. Was sich hinter dem abgerissenen Dialog zwischen Rachel und Billy verbirgt, Jake erhält keine Antwort, der Leser könnte die Zusammenhänge ahnen. So etwas wie Normalität zieht wieder bei den Andrews ein als Billy zur Familie zurückkehrt. Jake kümmert sich um einen Job bei einem alten Kioskbesitzer, kabbelt sich mit Andy und ist traurig, dass Matthew nur kurz daheim vorbeischaut und ihm auch noch sein gespartes Geld für die Midi-Anlage klaut. Jake ist der Sonnenschein in dieser tieftraurigen Geschichte. Zerrissen zwischen den Konflikten der Eltern bleibt er, auch wenn er sich für seine alkoholisierte Mutter schämt, immer an ihrer Seite.

Billy und Mary planen einen gemeinsamen Urlaub mit Rachels Familie in Frankreich, in einem abgelegenen Haus, dass einst Robert gehörte. Hier spitzen sich trotz harmonischem Beginn alle Konflikte zu und führen zu einem tragischen Ende.

Isabel Ashdowns Debütroman ist faszinierend geschrieben, denn jede Figur hat ihren ganz eigenen vielschichtigen Charakter, den die Autorin in einer einzigen Szene zum Vorschein bringen kann. Je tiefer der Leser in die Geschichte von Mary und Rachel eintaucht, um so plausibler wird das Verhalten der Protagonistinnen.

Ein berührender, aufwühlender Roman über eine Familie, die keine werden kann.